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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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gescheit, sie würden ihn finden und zurückholen. Ein Mensch, der an Balken genagelt werden sollte, konnte nicht entkommen.
    Schließlich hatte er verstanden, daß sie nicht an das glaubte, was er sagte. Da hatte er eingesehen, daß sie sich niemals entschließen könnte, ihn zu begleiten.

    Als sie nach Hause lief, hatte er ihr nachgesehen, bis sie
    verschwunden war. So konnte er auch sein eigenes Verschwinden sehen. Er würde durch die Nacht laufen, und er würde fort sein, wenn Edvin und Alma am Morgen aufwachten. Er hatte ein wenig Sand ins Bett geschüttet und hoffte, daß sie glauben würden, er hätte sich in diese Sandkörner verwandelt.

    Die Dunkelheit umschloß ihn. Die Kälte schnitt ihm in die Brust. Er folgte den schmalen Wegen, die sich zwische n den Äckern durchwanden. Die Erde war gefroren und blieb nicht mehr unter den Schuhen kleben. Hin und wieder hielt er inne, um Atem zu schöpfen. Aber sogleich begann er so stark zu frieren, daß er sich zum Weitergehen zwang.
    Die Ebene erschien ihm endlos. Schließlich war es, als bewege er sich in einem Dämmerzustand. Die Kälte schmerzte nicht mehr. Jetzt brannte sie in ihm. Er wußte, daß er bis zur Morgendämmerung durchhalten mußte. Erst dann würde er nach einem geeigneten Platz suchen können, um sich zu wärmen und zu schlafen. Wenn er jetzt anhielte, würde er in der Dunkelheit begraben werden, und wenn die Sonne wiederkehrte, würde nur noch sein steif gefrorener Körper übrig sein. Diese ganze lange Nacht über waren Be und Kiko in seinen Gedanken. Sie waren bei ihm, und sie froren genauso wie er. Manchmal streckte er die Arme aus und bat Kiko, ihn zu tragen. Aber Kiko schüttelte nur den Kopf und sagte, er müßte es allein schaffen.

    Dann kam die Morgendämmerung.

    Gleichzeitig setzte der Schneefall ein. Erst in einzelnen Flocken, bald aber so dicht, daß er den Horizont nicht mehr sehen konnte. Er befand sich mitten auf einem Acker. Weit entfernt sah er ein Haus, von Bäumen umgeben. Aber nirgendwo innerhalb seines Blickfeldes war das Meer zu entdecken. Auf der Kuppe eines kleines Hügels lag die Ruine einer Windmühle. Die Flügel hingen wie die Überreste eines toten Vogels über den zerfallenen Mauern. Er ging auf den Hügel zu. Als er sich umdrehte, war der Acker schon weiß geworden, und seine Spuren zeichneten sich deutlich ab. Er ging weiter bis zur Mühle. Ein Fuchs tauchte flüchtig auf und war gleich wieder fort. In einer Ecke der Ruine war das Dach noch intakt. Auf dem Boden lagen ein paar alte Säcke. Er wickelte sich die Säcke um den Leib und kauerte sich in einem Winkel zusammen. Dann aß er eins von den Brotstücken und eine Kartoffel. Er wunderte sich, daß er nicht durstig war. Wenn er eine ganze Nacht durch die Wüste gegangen wäre, hätte er keinen Hunger, würde aber Wasser haben wollen. Jetzt brauchte er etwas zu essen.
    Er versuchte abzuwägen, ob er es riskieren könnte einzuschlafen. Würden die Säcke ihn warm genug halten, oder würde er erfrieren? Er bemühte sich, einen Entschluß zu fassen. Aber da schlief er schon. Kiko lag an seiner linken Seite, wie gewöhnlich mit einem Arm unter dem Kopf. Be war irgendwo hinter ihm. Ohne daß er sie sah, wußte er, daß sie zusammengerollt schlief, die Hände unter dem Bauch verschränkt.

    Er träumte, daß sein Herz immer langsamer schlug. Mit gewaltiger Kraft schleuderte er sich aus dem Traum heraus. Er fror so, daß er zitterte. Wie lange er geschlafen hatte, wußte er nicht. Zu seiner Verwunderung merkte er, daß er weinte. Die Tränen waren von den Augen in den Mund gelaufen. Es war ihm noch nie passiert, daß er anfing zu weinen, während er schlief.
    Erst wußte er nicht, wo er sich befand. Es schneite immer noch. Mit Mühe erhob er sich und versuchte an der Höhe der Schneedecke abzulesen, wie lange er geschlafen hatte. Er maß mit einem Finger und sah dann zu den Wolken hoch. Wo die Sonne stand, konnte er nicht ausmachen. Er nahm etwas Schnee in die Hand und steckte ihn in den Mund. Jetzt merkte er plötzlich, wie durstig er war.
    Bevor er die Ruine verließ, riß er die Säcke in Fetzen und stopfte sie unter die Hose und in die Schuhe. Dann ging er weiter in Richtung Süden.

    Er wußte, daß er eine weitere Nacht nicht durchstehen würde. Er mußte sich ausruhen und er brauchte Wärme. Sonst würde er sterben. Kurz bevor die Dämmerung begann, kam er zu einem Hof mit großen Stallungen und einem roten Ziegelhaus mit einem Turm in der Mitte. Er versteckte

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