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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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daß ich gern wissen möchte, woher du kommst. Und wie du hier gelandet bist. In meiner Kajüte, mitten im Winter.

    Der Mann setzte sich auf die Bettkante und zog die Decke über Daniels Beine.
    - Ich heiße Lystedt, sagte er. Das ist mein Schiff. Es heißt »Elin av Brantevik«.
    Er unterbrach sich und schob die Laterne näher an die Tischkante.
    - Du weißt vielleicht nicht, wo du dich befindest?
    - Nein.

    - Aber du bist von irgendwoher gekommen?
    - Von Alma und Edvin.

    - Alma und Edvin? Heißen sie noch etwas anderes? Und wo wohnen sie?
    Daniel fürchtete, er hätte zuviel gesagt. Auch wenn der Mann mit dem hängenden Augenlid nicht gefährlich war, meinte er vielleicht doch, daß Alma und Edvin ihn holen sollten.

    Der Mann wartete. Er hatte braune Augen und tiefe Falten an der Stirn.
    - Du willst nicht sagen, woher du kommst? Und du sagst, daß du auf dem Weg nach Hause bist. Das kann nur eine Sache bedeuten. Du bist ausgerissen. Aber wie weit bist du bei diesem Wetter gelaufen?
    - Zwei Nächte.
    - Wo hast du geschlafen?
    - Bei den Tieren.

    - Und du bist auf dem Weg nach Hause. Aber wo ist zu Hause?

    - Das, was man Wüste nennt.
    Daniel erinnerte sich an etwas, was Vater oft gesagt hatte. Der Junge kommt aus der fernen Kalahariwüste. - Ich komme aus der fernen Kalahariwüste. Der Mann nickte bedächtig.
    - Einmal, als ich noch jung war, bin ich auf einem holländischen Schiff gesegelt, das nach Kapstadt sollte. Wir hätten beinahe in einem Sturm vor der Skelettküste Schiffbruch erlitten. Ich weiß noch, daß der Kapitän sagte, es gäbe eine Wüste, die Kalahari hieß.
    Er beugte sich vor und zog die Decke bis zu Daniels Kinn hoch.
    - Frierst du?
    - Nein.

    - Wie bist du nach Schweden gekommen, mein Junge? Wer war so grausam, daß er dich hierher geschleppt hat?

    - Vater.
    - Dein Vater?
    Daniel war gezwungen, in seinem müden und aufgeregten Gedächtnis nach dem Namen zu suchen, den Vater hatte.
    - Hans Bengler.

    - Ein weißer Mann? Der nicht dein richtiger Vater war?
    - Kiko ist im Sand gestorben. Meine Mutter, die Be hieß, konnte fliegen. Ihre Arme haben sich in Flügel verwandelt, als das Wasser rings um den Baum stieg, auf dem sie mich gebar.
    Daniel seufzte. Er schaffte es nur, kurze Antworten zu geben. Am liebsten wäre er in den Traum zurückgekehrt und mit Be davongeflogen.
    - Ich verstehe nicht viel von dem, was du sagst. Aber ich begreife, daß du auf der Flucht bist und von einem Verrückten hergebracht wurdest, der dich vielleicht auf Märkten vorführen wollte. War es so?

    - Vater hat Insekten gezeigt. Dann hat er ein Tuch hochgehoben. Darunter saß ich.
    Der Mann beugte sich vor und strich Daniel übers Gesicht.

    - Ich verstehe, daß du nach Hause willst, sagte er. Warum sollst du hier in der Winterkälte herumlaufen, wenn du an die Wärme gewöhnt bist? Wie hieß er noch, der Mann, der dich hergebracht hat? Hans Bengler? Kennst du jemand anders hier in Schonen? Denn in Schonen hast du gelebt. Das höre ich an der Art, wie du sprichst.
    - Doktor Madsen.

    - Der Doktor in Simrishamn? Dann kannst du nicht an schlechte Menschen geraten sein. Er hilft den Leuten, auch wenn sie kein Geld haben.

    Daniel merkte, daß er kurz davor war, wieder in den Schlaf hineinzugleiten. Der Mann, der auf der Bettkante saß, machte ihn vollständig ruhig.
    - Ich kann Segel hissen, sagte Daniel. Und ich werde nicht krank, wenn die Wellen hoch sind.

    - Du bist bestimmt ein guter Seemann, auch wenn du noch ein Kind bist. Aber erst mußt du schlafen. Ich glaube, du bleibst besser hier. Die Alte zu Hause würde wahnsinnig werden und schreien, der Teufel sei in ihr Haus gekommen, wenn ich dich mitnähme. Sie ist ein bißchen empfindlich bei allem, was sie nicht kennt.
    Daniel verstand nicht mehr, wovon der Mann redete. Oder er hatte einfach nicht mehr die Kraft zuzuhören.
    - Wann segeln wir? fragte er.
    Der Mann sah ihn lange an, ehe er antwortete.
    - Vielleicht morgen, sagte er dann. Das kommt darauf an. Ob der Wind sich hält.

    - Ich kann an Deck schlafen, murmelte Daniel.
    - Du kannst hier schlafen. Jetzt mußt du nicht mehr fliehen.

    Der Mann legte seine Hand auf Daniels Stirn.
    - Jedenfalls hast du dir kein Fieber angefroren. Schlaf jetzt, dann sehen wir morgen, woher die Winde wehen.

    Daniel sank rasch auf den Boden seiner selbst.
    Einmal schlug er die Augen auf. Der Mann saß noch immer auf der Bettkante und sah ihn an. Daniel dachte, er würde auch dort sitzen, wenn er am nächsten Tag aufwachte. Er

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