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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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halt. Die Wolken hatten sich im Wind zerstreut. Der Mond gewährte ihm eine gute Sicht. Er sprang über die Reling und spürte, wie sich das Deck unter seinen Füßen bewegte. Plötzlich schrak er zusammen. Es war, als befände Vater sich irgendwo dort unter den Schatten. Er wollte nicht, daß Daniel ein Schiff bestieg. Er würde ihn am Nacken packen und ihn zu Alma und Edvin zurückbringen. Aber das Deck war leer. Es war niemand an Bord. Wieder spürte er, wie hungrig er war. Wenn er nichts zu essen fand, würde er bald nicht mehr denken können.
    Er ging auf dem Deck entlang und versuchte sein Glück an der Tür der Achterkajüte. Sie war unverschlossen. Ohne daß er wußte, warum, klopfte er an. Niemand antwortete. Er machte die Tür auf und trat ein. Drinnen roch es nach nassen Kleidern. Auf einem Tisch stand eine Kerze. Er zog die Gardinen vor die Bullaugen und machte Licht. Dann wölbte er seine Hände wie einen Schirm um die Flamme. Auf dem Tisch standen eine Butterdose und ein Teller mit hartem Brot. Er fing an zu essen. Die Butter schmierte er mit den Fingern auf das Brot. Außerdem stand da eine Flasche, dieselbe Sorte, die Vater zu trinken pflegte. Es war das, was sie Bier nannten. Es schmeckte bitter. Aber er trank, bis die Flasche leer war.

    Als kein Brot mehr übrig war, war er satt. Er löschte die Kerze und setzte sich auf die Koje hinter dem Tisch.

    Die Stimmen umgaben ihn jetzt von allen Seiten. Er konnte ihren Atem fühlen und ihre Körper in der Dunkelheit erahnen, während das Schiff gegen den Kai stieß und scheuerte.
    - Was soll ich tun? flüsterte er ins Dunkel hinaus.
    Aber die Antworten verloren sich im Heulen und Pfeifen, das von den undichten Bullaugen zu ihm herüberdrang, und im Klatschen der Leinen, die draußen gegen die Masten schlugen.

    Er legte sich hin und breitete die Decken über sich. Sie rochen scharf nach Tabak und Urin. Er wußte, daß er einen Entschluß fassen mußte. Aber er war zu müde. Er schaffte es nicht einmal daran zu denken, sich zu verstecken.

    In den Träumen sah er Be ganz oben in einem Baumwipfel sitzen. Rings um sie her war kein Sand, nur Wasser. Sie war allein da oben in der Baumkrone, und das Wasser stieg unaufhaltsam am Stamm hoch. Plötzlich sah er, daß sie da oben in der Baumkrone im Begriff war, ein Kind zu gebären. Sie rief nach Kiko, aber niemand antwortete. Daniel wollte den Stamm hinaufklettern, um ihr zu helfen, aber er konnte nicht, und schließlich verstand er, daß er es war, der da oben geboren wurde, während das Wasser langsam stieg. Er sah, wie Be die Nabelschnur zu dem blutigen Kind durchbiß, und er fühlte, daß er von ihr weggerissen wurde. Bald würde das Wasser bis zur Baumkrone reichen und sie beide in den Wellen davontragen. Dann entdeckte er, daß Be Flügel besaß, und sie breitete sie aus und stieg aus dem Baum empor, als die Wellen kurz davor waren, nach ihren Füßen zu greifen.

    Er erwachte mit einem heftigen Ruck. Ein Lichtstrahl traf seine Augen. Ein Mann mit einer Laterne in der Hand stand über die Koje gebeugt. Er war unrasiert, und ein Lid hing ihm halb übers Auge.
    - Was zum Teufel ist denn das, sagte er. Wer bist du? Daniel setzte sich auf.
    - Ich heiße Daniel. Ich glaube an Gott.

    - Wäre ich besoffen, würde ich jetzt wegrennen. Ein schwarzer kleiner Mensch in der Achterkajüte?
    Der Mann schüttelte den Kopf.

    - Ich höre, daß der Wind auffrischt, und beschließe, mich anzuziehen und hinunterzugehen und nach den Leinen zu sehen. Etwas bringt mich dazu, in die Kajüte zu schauen. Und da liegt ein Mensch in meiner Koje.
    Daniel merkte sofort, daß der Mann nicht gefährlich war.

    - Ich bin auf dem Weg nach Hause, sagte er. Ich habe keine Angst davor, in die Masten zu klettern. Ich esse nicht viel. Ich kann an Deck schlafen. Wenn es nur etwas wärmer wird.
    Der Mann stellte die Laterne auf den Tisch, ohne ihn aus dem Blick zu lassen.

    - Du bist wirklich schwarz, sagte er. Ein schwarzer junger Mann aus Afrika. Der Schwedisch spricht. Und hartes Brot ißt. Und Bier trinkt. Und sich dann in meiner Koje schlafen legt. Wenn ich das jemandem erzählen würde, hielten sie mich für verrückt. Und vielleicht bin ich ja verrückt.
    Er streckte die Hand aus.
    - Nimm meine Hand, damit ich spüre, daß du wirklich bist.

    Daniel streckte seine Hand aus.
    - Du bist wirklich, sagte der Mann. Und du bist kalt. Du frierst. Und du heißt Daniel?
    - Ich glaube an Gott.
    - Das bedeutet nicht soviel. Aber du mußt verstehen,

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