Die rote Antilope
sich auf dem Acker hinter ein paar Steinblöcken und wartete. Dann und wann hörte er Stimmen in der Ferne und das Geräusch von klappernden Eimern. Als es dunkel geworden war, näherte er sich vorsichtig einer der Stallungen. An der Rückseite befand sich eine alte Mistrinne, durch die er hineinkriechen konnte. Der Stall war voller Kühe. Einige davon bewegten sich unruhig, als er sich in der Dunkelheit vorantastete. Plötzlich roch er den Duft von Milch. Auf dem Boden eines ungespülten Eimers fand sich noch ein Rest Milch. Er trank sie aus. Suchte weiter und entdeckte noch einen Eimer mit Milch. Immerzu lauschte er auf Stimmen. Aber er war allein mit den Tieren. Er tastete sich denselben Weg zurück, auf dem er gekommen war, und kroch neben der Kuh, die der Mistrinne am nächsten stand, ins Heu. Die Kuh schnupperte an ihm. Daniel spürte ihren warmen Atem im Gesicht. Er aß das Brot und die Kartoffeln auf, die noch übrig waren, und kuschelte sich dann ins Heu. Dabei beschmierte er sich die eine Hand mit Dung. Er wischte sie an der Steinwand ab und rollte sich zusammen. Langsam merkte er, wie die Körperwärme zurückkehrte. In dieser Nacht würde er nicht erfrieren.
Er schrak hoch, als jemand schrie. Er hatte so tief geschlafen, daß er nicht bemerkte, wie die Mägde mit ihren Eimern klappernd hereinkamen. Jetzt stand ein dünnes Mädchen mit pockennarbigem Gesicht vor dem Verschlag und weckte ihn mit ihrem Geschrei. Er stand auf, und sie flüchtete und warf dabei den Eimer um. Er kroch durch die Mistrinne nach draußen und rannte so schnell er nur konnte. Es hatte aufgehört zu schneien und war kälter geworden. Er rutschte aus und fiel hin, rappelte sich aber wieder auf und lief weiter. Die ganze Zeit war er darauf gefaßt, hinter seinem Rücken Rufe und Hundegebell zu hören. Er merkte, daß es langsam bergauf ging. Wenn er nur über den Kamm käme, wäre er in Sicherheit.
Als er die Kuppe erreichte, blieb er wie angewurzelt stehen.
Weit hinten am Horizont lag das Meer. Er machte die Augen fest zu und sah noch einmal hin. Es war keine Einbildung. Das Meer lag vor ihm, und als er sich umdrehte, waren die Äcker leer. Keine Menschen, keine Hunde.
Er ging weiter und stieß auf eine breitere Straße. Schon jetzt konnte er den Rauch aus vielen Schornsteinen zum Himmel steigen sehen. Vielleicht war er unterwegs zur selben Stadt, in der er einmal mit Vater gewesen war? Er ging weiter. Als er von weitem zwei Pferdewagen sah, verließ er die Straße und versteckte sich in einem Graben. Der Kutscher hinter dem ersten Pferd schlief. Im zweiten Wagen saß eine Frau. Flüchtig dachte Daniel, daß es vielleicht Be war, die sich verkleidet hatte. Die sich ihm zeigen wollte, ihm sagen, daß er auf dem richtigen Weg war.
Er hielt sich versteckt, bis es wieder anfing zu dämmern. Jetzt war er nahe genug gekommen, um festzustellen, daß es nicht dieselbe Stadt war, die Vater und er besucht hatten. Hier gab es keine gepflasterten Straßen, nur lehmige Wege, die sich zwischen niedrigen Häusern schlängelten.
Aber er entdeckte etwas, was wichtiger war. Es gab dort einen Hafen. Und in dem Hafen lagen mehrere Schiffe. Vielleicht könnte er sich auf einem von ihnen verstecken und müßte gar nicht lernen, wie man auf dem Wasser geht.
Der Hunger nagte an seinem Magen. Er versuchte sich
vorzustellen, was geschehen war, als Alma und Edvin sein Verschwinden entdeckt hatten. Alma würde vielleicht glauben, der Sand im Bett wäre alles, was von ihm übrig war. Aber Edvin würde es bezweifeln. Sie würden anfangen zu suchen. Jetzt war er aber bereits einen Tag und zwei Nächte unterwegs. Sie würden annehmen, er läge irgendwo tot, unter dem Schnee begraben.
Bei Einbruch der Dunkelheit kam Wind auf. Daniel war besorgt, die Schiffe könnten den Hafen verlassen, bevor er es geschafft hätte, an Bord zu kommen. Er machte einen Umweg um die Häuser herum und ging hinunter zum Hafen. Der Wind wurde stärker. Die Schiffe scheuerten gegen die Kaimauer. Er war überrascht, daß kein Licht in den Kajüten war. Wo waren die Seeleute?
Der Kai lag verlassen da. Das einzige Licht, das er sah, kam aus einem Fenster in einem Haus am Ende der Hafenmauer. Er ging an den Schiffen vorbei, ohne auf einen einzigen Menschen zu stoßen. Die Enttäuschung machte ihn wütend. Warum lagen sie hier dümpelnd im Hafen wie tote Tiere? Warum warteten keine Matrosen auf die Morgendämmerung, um die Segel zu hissen?
Bei dem größten der Schiffe machte er
Weitere Kostenlose Bücher