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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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der Nächte und die Einsamkeit eigentlich in ihn eingedrungen? Befanden sich dort nur gefrorene Räume, in Eisblöcke gebettete Gefühle, ähnlich wie seine eigenen Käfer in ihrem Spiritus eingeschlossen waren? Oder war da noch etwas anderes?

    - Ich habe nach einem anderen Mittelpunkt in meinem Leben gesucht, sagte Andersson. Mein Vater war Apotheker, und er erwartete, daß ich die gleiche Leidenschaft für Klistiere aufbringen sollte wie er selber. Aber ich bin mit einem Haß auf alle Salben geboren. Also lief ich weg. Versteckte mich an Bord eines Schiffes, das mit Lidköpingsporzellan nach Göteborg fuhr. Und von da aus ging es in die weite Welt hinaus. Bis ich hier gestrandet bin. Ein einziges Mal bin ich nach Hause zurückgekehrt. Um meinen Vater zu beerdigen. Sechs Mona te nach seinem Tod kam ich an. Sie hatten ein Loch in der Erde gelassen, damit ich ein wenig Erde auf den Sarg schütten konnte. Aber ich tat ihm Wüstensand hinein. Damals nahm ich auch die Tracht für Geijer mit.

    - Heißt er Geijer?
    - Wie er wirklich heißt, habe ich vergessen. Aber ich habe ihn Geijer getauft. Ein feiner Name. Ein kluger Mann, der ein paar Gedichte geschrieben hat, die ich bis heute behalten habe. Lebt er noch?

    - Erik Gustaf Geijer ist tot.
    - Alle sind tot.

    - Sie leben mitten in einer Wüste.
    - Ich gehe auf die Jagd. Mir gehört die einzige Handelsstation, zu der Schwarze Zutritt haben. Hier kommen keine Deutschen her. Sie hassen mich auf dieselbe Weise, wie ich sie hasse. Weil sie wissen, daß ich sie vollständig durchschaue. Ihre Brutalität, ihre Angst.
    - Sie jagen Elefanten?
    - Nichts anderes. Was gedenken Sie in Ihre leeren Gläser zu tun?
    - Ich will Insekten kartieren. Sie systematisieren und benennen.
    - Wozu denn?
    - Weil es noch nicht gemacht wurde. Andersson betrachtete ihn lange, ehe er antwortete.
    - Das ist eine Antwort, der ich mißtraue. Etwas zu machen, nur weil es noch nicht getan worden ist.
    - Ich habe keine andere Antwort.
    Andersson legte sich hin und breitete ein Tuch über sich.
    - Sie können hierbleiben. Ich brauche Gesellschaft. Jemand, der mit mir die Mahlzeiten teilt, jemand, der meine Geschwüre aufschneiden kann.
    - Ich habe kaum noch etwas, um zu bezahlen.

    - Ihre Gesellschaft genügt mir.

    Er blieb an dem Ort, den Andersson Nya Vänersborg getauft hatte. An der Rückseite des Zimmers, in dem er seine erste Nacht verbracht hatte, gab es eine Kammer, in der Andersson seine Elefantenzähne aufbewahrte. Der Raum wurde geleert und gesäubert, und er konnte einziehen. Die Ochsentreiber wurden entlassen, die Tiere geschlachtet, und Andersson half ihm, neue Zugtiere und Ochsentreiber zu beschaffen. Die ganze Zeit hatte er das Gefühl, Andersson würde sie als Spione gegen ihn einsetzen. Andersson wußte immer, was er dachte, welche Pläne er hatte. Außerdem hatte er den Verdacht, daß Andersson seine Tagebücher las und seine Kleider durchsuchte. Jeden Abend aßen sie zusammen und unterhielten sich. Aber hin und wieder zog sich Andersson mit seinen Schnapskanistern zurück, wenn eine schwarze, sehr schöne Frau zu Besuch kam. Dann ergriff Bengler manchmal ein heftiges Verlangen nach Matilda. Er nahm seine Gewohnheit wieder auf, täglich zwei-, dreimal zu onanieren.
    Mitunter verschwand Andersson und blieb für mehrere Wochen weg. Die Handelsstation leitete unterdessen Geijer, der seine Volkstracht offenbar nie ablegte. Der Laden führte Salz, Zucker, bestimmte Getreidesorten, einfache Stoffe und Munition. Geld wurde nicht umgesetzt, alle Geschäfte beruhten auf Tauschhandel. Die schwarzen Männer, die wie einsame Schiffe in all dem Weißen auftauchten, schleppten Schildpatt oder Elefantenzähne an. Etwas anderes sah er nicht. Dann verschwanden sie mit ihren Stoffen und ihren Säcken. Mit Geijer konnte er simple Gespräche auf schwedisch führen. Andersson hatte ihm die Sprache beigebracht. Aus irgendeinem Grund sprach Geijer den Göteborger Dialekt. Aber da sein Wortschatz begrenzt war und es ihn offenbar immer tief betrübte, wenn er das Gesagte nicht verstand, ließ sich Bengler nie auf kompliziertere Diskussionen ein.
    Außerdem beschäftigten ihn seine Insekten. Die Glasgefäße füllten sich allmählich. Aber noch nach sieben Monaten hatte er kein Insekt gefunden, von dem er mit absoluter Sicherheit sagen konnte, es sei unbekannt.

    Eines Abends, er war seit vier Monaten bei Andersson, lag auf dem Boden unter seiner Hängematte eine Frau, als er schlafen gehen wollte. Sie war

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