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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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er sich völlig geborgen.
    Trotz allem hatte er überlebt. Er war irgendwo angekommen. Der Magnet hatte ihn aus seinem Griff entlassen. Er war an einen unbekannten Ort gelangt, wo es Menschen gab. Ein Stück Schweden, etwas, das er wiedererkennen konnte.

    Er wachte in der Dunkelheit davon auf, daß er schnarchte.
    Aber als er die Augen aufschlug, schnarchte es weiter. Andersson schlief zusammengerollt auf einem Zebrafell neben einer brennenden Tranlampe. Vorsichtig wand sich Bengler aus der Hängematte, da er pinkeln mußte. Er tastete sich im Dunkeln voran, auf der Suche nach einer Tür oder einem Vorhang, und ohne daß er richtig merkte, wie es zuging, stand er auf einmal im Freien. In einiger Entfernung brannten mehrere Feuer. Menschen redeten gedämpft miteinander, Schatten bewegten sich, ein Kind weinte leise. Die plötzliche Kälte und der Nachtwind ließen ihn schaudern. Dann pinkelte er. Wie üblich zeichnete er mit dem Urinstrahl ein paar Zahlen in den Sand. Diesmal eine Vier und eine Neun. Er kam bis zur Hälfte einer Acht. Dann war er fertig.

    Als er wieder ins Zimmer trat, war Andersson aufgewacht. Er saß aufrecht da und wischte Ruß vom Glas der Tranlampe.
    - Während Sie schliefen, habe ich versucht herauszufinden, wer Sie sind. Ich habe die Ladung Ihres Wagens kontrolliert. Das einzige, was ich fand, war eine Anza hl von Büchern und Tafeln über Insekten. Ein paar Gläser mit Würmern und Käfern. Aber sonst nichts. Es ist, als hätte man ein rollendes Irrenhaus zu Besuch. Viele sind hier schon vorbeigekommen. Aber keiner war so verrückt wie Sie.
    Er ließ von der Tranlampe ab und steckte sich eine Pfeife an.
    - Ihrem Katechismus konnte ich entnehmen, daß Sie aus Hovmantorp kommen. Ich habe es auf meiner alten Karte von Schweden gesucht. Aber ich fand kein Hovmantorp. Entweder ist das, was Sie in Ihren Notizbüchern schreiben, gelogen. Oder Hovmantorp ist ein unbekannter Ort, obwohl es mich wundert, daß in einem Land wie Schweden noch immer weiße Flecken existieren.
    - Wie lange sind Sie schon hier?

    - Diese Frage ist sehr unpräzise. Was heißt hier? In der Wüste? In Afrika? Oder in diesem Zimmer?
    - In Afrika?

    - Seit neunzehn Jahren. Jeden Tag aufs neue wundere ich mich, daß ich noch lebe. Darüber wundern sich auch all die Schwarzen, die mich umgeben. Es wundert sogar die Ochsen und die Strauße und vielleicht sogar die wilden Hunde. Aber manchmal denke ich, daß ich vielleicht schon tot bin. Ohne es bemerkt zu haben.
    Er zog einen Kanister mit Schnaps zu sich heran und trank.

    - Hätten Sie das Geschwür nicht aufgeschnitten, wäre ich vermutlich gestorben. Wenn es Ihnen Befriedigung bereitet, kann ich gern sagen, Sie seien wie ein sanftmütiger Erlöser durch die Wüste gekommen und hätten mir das Leben gerettet.
    - Früher einmal wollte ich Arzt werden. Aber ich hatte kein Talent dazu.
    - Es kommt oft vor, daß Europäer, die untalentiert sind, nach Afrika kommen. Hier können sie ihre Hautfarbe und ihren Gott geltend machen. Müssen nichts können, nichts wollen. Hier lebt man gut davon, Menschen zur Unterwerfung zu zwingen. Hierher kommen Analphabeten aus Deutschland, und plötzlich sind sie Vorarbeiter von hundert Afrikanern und maßen sich das Recht an, nach Belieben über sie zu verfügen. Östlich von dieser Wüste machen die Engländer genau dasselbe, nördlich von uns sitzen Portugiesen und singen ihre sentimentalen Lieder und peitschen ihren schwarzen Arbeitern die Haut vom Leib. Nach Amerika exportieren wir die Tüchtigkeit. Nach Afrika kommen entweder Erweckungsprediger oder träge Bestien. Und ich. Der ich weder ein Prediger noch eine Bestie bin.
    - Was sind Sie?

    - Weitblickend. Ich mache Geschäfte.
    - In Kapstadt habe ich einen Mann namens Wackman getroffen. Er sprach von der Wichtigkeit, rechtzeitig zu erkennen, daß das Pianoforte in Zukunft große Reichtümer schaffen kann.

    - Stimmt. Da hat der Mann ausnahmsweise recht. Wackman ist ein widerlicher Mensch. Er schlitzt seinen Huren die Fußsohlen auf, damit sie ihn nie vergessen. Außerdem ist er eigentlich auf kleine Jungen mit hellbrauner Haut versessen. Die reibt er mit Öl ein. Es geht das Gerücht, daß er einmal, nachdem er einen solchen Jungen bestiegen hatte, so verzückt war, daß er den Jungen anzündete. Das Öl sorgte dafür, daß der Junge sehr schnell in Flammen stand.
    Bengler versuchte sich darüber klarzuwerden, ob Andersson tatsächlich so zynisch war, wie er sich gab. Wie tief waren die Kälte

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