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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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mit zwei Köpfen.

    Daniel verstand immer noch nicht, was ein Markt war. Aber aus irgendeinem Grund scheute er sich vor weiteren Fragen.
    Der Wind hatte aufgefrischt. Außerdem war es kälter geworden. Daniel ging in die Kabine und legte sich in seine Koje. Er nahm sich vor, Be in seinen Träumen zu erzählen, daß Tobias gesagt hatte, der Mann an den Planken könne auf dem Wasser gehen.

    Aber weder in dieser Nacht noch in der nächsten erschien Be in seinen Träumen. Wenn er morgens aufwachte, konnte er sich an nichts anderes erinnern als an Dunkelheit. Es war, als hätte sich in seinem Kopf eine unsichtbare Bergkette aufgetürmt. Irgendwo dahinter waren Be und Kiko. Aber er konnte sie nicht sehen.

    Am fünften Tag nahmen sie Kurs aufs Land. Sie kreuzten zwischen Inseln, segelten durch Buchten und enge Sunde. Daniel merkte, daß Vater von Unruhe erfüllt war. Er grübelte, ob er der Grund dafür war, ob es an etwas lag, das er getan hatte. Um zu zeigen, daß er ihn gern hatte, zog er die schweren Holzschuhe an. Aber Vater schien es nicht einmal zu bemerken. Mehrere Male, wenn Daniel die Kabine betrat, saß er da und zählte den Rest von dem Geld, das er für das Pferd bekommen hatte. Daniel hatte auch gehört, wie er mit dem Kapitän über das Geld stritt, das er zurückbekommen sollte, nachdem er den faulen Zahn gezogen hatte.
    Sie segelten durch einen engen Sund, und Daniel entdeckte in der Ferne einen hohen Turm. Vater tauchte neben ihm an der Reling auf.
    - Was ist das, fragte Daniel und deutete mit dem Finger.
    - Ein Kirchturm. Die Hauptstadt. Stockholm.

    Vater klang gereizt, als er antwortete. Daniel beschloß rasch, keine weiteren Fragen zu stellen.

    Sie machten in einem Wald von Schiffen neben einem anderen Schoner fest. Weit weg, zwischen den Segeln und den Schiffsrümpfen, sah Daniel hohe Häuser, und er zählte fünf Kirchtürme. Da es schon Abend war, entschied Vater, daß sie diese Nacht noch auf dem Schiff verbringen würden. Daniel war neugierig, wie es weiterginge. Aber er fragte nicht. Als er sich schlafen legte, hoffte er, Be würde kommen. Aber auch am nächsten Morgen wachte er auf und erinnerte sich an nichts als Dunkelheit.

    Am späten Vormittag verließen sie das Schiff.
    Vater war an Land gewesen, und zwei Männer kamen an Bord und holten seine Kisten. Als alles auf zwei Schubkarren verladen war, durfte auch Daniel an Land gehen. Ihm fiel sofort auf, daß alle Menschen ihn angafften. Das war er zwar gewohnt, aber etwas war anders. Hier kamen sie an, starrten ihm direkt ins Gesicht, faßten ihn an, kniffen ihn in die Arme und machten Bemerkungen über seine Haare und seine Haut. Er fühlte sich verlegen, ängstlich, und tat etwas, was er noch nie zuvor getan hatte, er nahm Vaters Hand und bohrte ihm seinen Kopf in den Bauch. Vater war überrascht, strich ihm aber über das Haar.
    - Sie sind Abschaum, sagte er. Sie arbeiten hier im Hafen. Abschaum, der es nicht besser weiß.

    - Was ist Abschaum? murmelte Daniel.
    - Ungebildetes Pack. Schauerleute. Verkommene Subjekte. Die Leute hier werden dich ansehen, Daniel. Aber diese Menschen starren. Das ist ein Unterschied.
    Vater hob ihn auf den Karren und schrie die Gaffer an, sie sollten ihn in Frieden lassen. Dann zogen die beiden Männer, die die schweren Kisten an Land getragen hatten, den Karren aus dem Hafen. Es lagen Steine auf der Straße, die den Wagen ruckeln und schwanken ließen. Daniel mußte sich festhalten, damit er nicht herunterfiel. Sie zogen den Karren durch eine enge Straße zwischen sehr hohen Häusern. Daniel mußte durch den Mund atmen, weil es sehr schlecht roch.

    Plötzlich war es, als fehle ihm die Kraft, noch mehr zu sehen. Er kniff die Augen so fest wie möglich zusammen. Es ratterte und knirschte unter den Rädern, Menschen riefen, Hunde bellten und Vater befahl den Männern, die den Wagen zogen, unter großem Geschrei, achtsam zu sein. Die Geräusche schwollen in seine m Kopf zu einem starken Wind an. Aber was sie sagten, konnte er nicht verstehen. Irgendwo in weiter Ferne meinte er die Stimme von Kiko zu hören, und von Be.

    Es war der 3. November 1877.

    Daniel war in Stockholm angekommen. Er hielt die Augen geschlossen, als der Karren mit den Insekten durch die Gassen der Altstadt rollte.

    14

    Erst als der Wagen hielt, schlug Daniel die Augen wieder auf. Vater berührte ihn an der Schulter. Die Gasse, in der sie sich befanden, war sehr schmal. Im Vordergrund stand eine Kirche. Es war schon Nachmittag, und es

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