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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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immer sonderbarer. Diese ewige Schinderei. Und dann findet man eines Abends einen schwarzen Jungen, der einem mit einem Seil auf dem Kopf herumspringt. Nimmt das denn nie ein Ende?
    - Was soll ein Ende nehmen?

    Der Mann zuckte die Schultern und fuhr mit der verbundenen Hand durch die Luft, als suche er ein Wort, das eigentlich ein Insekt war.
    - Das Leben. Es ist sowieso schon unbegreiflich genug. Dann war es, als ginge ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf.

    - Er ist doch nicht etwa krank?
    - Warum sollte er das sein?

    - Woher wollen Sie wissen, welche Krankheiten er vielleicht
    mit sich herumschleppt? Letztes Jahr hatten wie hier die Pocken, in diesem Frühjahr haben sich die Kinder fast das Leben aus dem Leib geschissen.

    - Er ist nicht ansteckend. Sie werden nicht einmal schwarz, wenn Sie ihn anfassen.

    Der Mann schüttelte den Kopf und verschwand die Treppe hinunter. Vater schloß die Tür.
    - Ich verstehe, daß du Angst bekommen hast. Aber du darfst nicht beißen.
    - Er ist eingetreten, ohne daß ich »Herein« gesagt habe. Vater nickte langsam.
    - Du hast noch viel zu lernen, sagte er. Aber ich werde dich verteidigen, so gut ich kann.

    In dem Päckchen hatte er Fisch, der sehr salzig schmeckte. Nach dem ersten Bissen hätte Daniel sich fast übergeben.

    - Du mußt essen, sagte Vater. Etwas anderes habe ich nicht bekommen.
    Daniel nahm noch einen Bissen. Aber als Vater sich wegdrehte, um zu niesen, spuckte er das Essen in seine Hand und hielt sie geballt unter dem Tisch.

    Nach der Mahlzeit legte Vater sich aufs Bett und sah an die Decke. Daniel versuchte in seinen Kopf zu schlüpfen und seine Gedanken zu lesen. Er wußte, daß das möglich war, Be hatte es ihm erzählt. Ein Mensch, den man kannte, mußte nicht viel sagen. Man konnte trotzdem wissen, was er dachte.

    Aber Vater war weit weg. Daniel meinte ihn plötzlich in Anderssons Haus auf der Matratze ausgestreckt liegen zu sehen, in dem Zimmer, in dem es so scharf nach Elfenbein gerochen hatte.
    Die Flamme der Kerze warf flatternde Schatten auf sein Gesicht. Daniel fielen die verbissenen und oft so düsteren Gesichter ein, denen er in diesem Land begegnet war. Die Mädchen, die auf dem Hof mit dem Seil gehüpft waren, hatten gelacht, auch die, die sehr dick war. Aber die erwachsenen Menschen in diesem Land waren nicht wie Be oder Kiko. Das Leben mußte so schwer sein, daß das Lächeln sich nicht hervorwagte. Oder ihre Gedanken waren so, daß sie nicht lachen konnten.
    Aber er wußte, daß das nicht stimmte. Auf der Straße hörte er ständig Menschen, die lachten. Er dachte an Kiko, der seine dauernden Fragen manchmal leid gewesen war.
    Jetzt fühlte er, daß er sich selber allmählich leid wurde. Er hätte dort im Sand liegen können, mit abgehauenen Gliedern und strömendem Blut. Aber er lebte, und eines Tages würde er die Antilope fertig malen, die Kiko angefangen hatte. Da drinnen im Felsen warteten die Götter. Und er konnte sie nicht im Stich lassen. Das wäre, als würde er Be und Kiko und die anderen im Stich lassen, die getötet worden waren, oder alle, die schon viel früher gestorben waren.
    Die Kerze war fast heruntergebrannt. Vater schlief. Daniel blies die Kerze aus, wartete, bis der glühende Docht von der Dunkelheit verschluckt worden war, zog sich dann aus und kroch ins Bett. Tief unter sich hörte er einen Mann, der schnarchte. Er bereute nicht, daß er den Mann in die Hand gebissen hatte. Das war notwendig gewesen, um das Seil zu verteidigen. Aber möglicherweise hatte er doch zu fest zugebissen.

    Am folgenden Tag führte ihn Vater durch die engen, stinkenden Gassen zu einem Markt, in dessen Mitte ein Mann auf einem Pferd saß.
    - Das ist ein Standbild, sagte Vater. Ein Mann, der sich nie bewegen wird. Er wird immer da sitzen und mit dem Finger zeigen. Bis eines Tages jemand kommt und das Standbild umstürzt.
    Sie überquerten den Markt und gingen durch eine große, hohe Tür. Die Treppen waren sehr breit. Als sie die Treppe zur Hälfte hinaufgestiegen waren, blieb Vater stehen und legte ihm die Hände auf die Schultern.
    - Das Wichtigste ist im Moment, daß wir zu Geld kommen, sagte er. Hier wohnt ein Mann, der dich vermessen und zeichnen wird. Dafür zahlt er Geld. Ich habe ihm aus Hovmantorp geschrieben. Er erwartet uns.

    Daniel wußte nicht, was das Wort vermessen bedeutete. Ebensowenig kannte er das Wort zeichnen. Aber er begriff, daß das, was er jetzt machen würde, etwas Gutes war. Vater sah ihn mit einem Lächeln an,

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