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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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begann zu dämmern. Sie bezogen eine kleine Dachkammer am Ende einer engen, steilen Treppe. Vom Fenster aus konnte Daniel in ein anderes Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehen. Auf einem Tisch stand eine Kerze. Eine größere Anzahl von Menschen saß um einen Tisch und löffelte Essen aus einer Holzschüssel. Plötzlich entdeckte ihn ein Junge in seinem eigenen Alter. Er schrie auf und zeigte auf ihn. Daniel zog sich rasch vom Fenster zurück. Vater kam zur Tür herein, nachdem er sich mit den Männern, die den Karren gezogen hatten, über ihren Lohn gestritten hatte. Die Kisten waren im Zimmer gestapelt. Es blieb kaum noch Platz, um sich zu bewegen. Vater sah sich mit Unbehagen um.
    - Wenn es hier brennen sollte, war alles umsonst.
    Er stellte eine kleine Holzschachtel direkt neben die Tür.

    - Die muß unbedingt gerettet werden, falls ein Feuer ausbricht. Darin befindet sich ein Käfer, den noch keiner gesehen hat.

    Dann machte er sich daran, das Bett zu untersuchen. Er schüttelte die Decken und leuchtete mit einer Kerze zwischen die Latten des Bettrosts.
    - Hier gibt es Läuse, sagte er. Sie werden uns beißen. Aber wir werden nur wenige Tage bleiben. Danach wird alles besser.

    Er stellte die Kerze auf den Tisch und setzte sich auf einen wackeligen Stuhl.
    - In dieser Stadt zu leben und arm zu sein, das ist, als würde man mit einem Eisenabsatz über dem Kopf leben. Das einzig Tröstliche ist, daß wir zur rechten Zeit gekommen sind. Letztes Jahr hat hier eine Pockenepidemie gewütet. Aber jetzt ist sie offenbar überstanden.

    Er nahm den kleinen Beutel, in dem er sein Geld verwahrte, und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Es war nur ein einziger Schein, dazu ein paar Münzen.

    - Ich lasse dich hier, sagte er, als er fertig gezählt hatte. Du mußt aufpassen. Wenn es anfängt zu brennen, mußt du die kleine Schachtel retten. Ich gehe in die Stadt und besorge etwas zu essen. Ich bleibe nicht lange weg.
    Er erhob sich vom Tisch. Daniel war sich nicht sicher, ob er böse war oder bekümmert. Dann ve rließ er das Zimmer, und seine Schritte verhallten auf der Treppe.

    Daniel war allein. Vater hatte die Tür nicht zugesperrt. Aus dem unteren Stockwerk hörte er, wie jemand sang und wie jemand anders weinte. Ein Geruch nach Essen drang durch den Fußboden nach oben. Es roch ranzig, nach altem Tierfett. Vorsichtig spähte Daniel durch das Fenster. Auf der anderen Straßenseite bettete eine Frau zwei Kinder auf den Tisch, wo zuvor die Holzschüssel gestanden hatte. Das hatte Daniel noch nie gesehen, daß ein Tisch zugleich ein Bett sein konnte. Die Menschen in diesem Land leben sehr eigenartig, dachte er. Entweder leben sie allein oder sie drängen sich so, daß keiner richtig Platz hat.
    Behutsam öffnete Daniel die Schachtel, die er retten sollte, falls ein Feuer ausbrach. Auf einem steifen weißen Papier war ein Käfer aufgespießt. Er hatte ihn oft gesehen, wenn er mit Be und den anderen Frauen und Kindern nach Wurzeln, Schlangen und kleinem Getier gesucht hatte. Sie nannten den Käfer Sandhüpfer, da er, wenn er Angst bekam, zu kriechen aufhörte und sich zur Seite warf. Be war sehr geschickt darin gewesen, ihn zu fangen. Es war wie ein Spiel: es ging darum, die Hand auszustrecken und genau zu wissen, wo er landen würde. Daniel versuchte zu verstehen, warum es so wichtig war, ihn zu retten. Ein kleines totes Insekt, auf einem Papier aufgespießt. Man konnte es nicht essen. Es besaß auch kein Gift, mit dem man Pfeilspitzen bestreichen konnte. Vater war ein sehr sonderbarer Mensch. Er befand sich auf einer Reise und hatte Danie l mitgenommen. Menschen waren immer in Bewegung. Hinter der Bewegung steckte das ständige Suchen nach Nahrung. Jetzt war Vater ausgegangen, um Nahrung zu beschaffen. Aber wohin waren sie eigentlich unterwegs?
    Daniel fühlte sich in dem Zimmer beengt. Die Decke war niedrig, unter ihm befanden sich Menschen, die er hörte, aber nicht sah. Er holte sein Springseil hervor, um nicht unruhig zu werden. Dann fing er an zu hüpfen, erst langsam, dann immer schneller. Das Seil schlug in gleichmäßigem Takt gegen den Fußboden. Es war, als würde er laufen. Er schloß die Augen und spürte, wie die Wärme zurückkehrte. Von irgendwoher hörte er Kikos Stimme, sein plötzliches Lachen, und Be, die so schnell redete und immer etwas zu erzählen hatte.

    Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Er beschloß sofort, nichts zu sagen. Dann würde derjenige, der draußen stand,

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