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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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war Kiko, sagte Daniel einfach.
    Er dachte, jetzt würde es möglich sein, Vater alles zu erklären, ohne daß er böse würde, ohne daß er den Kopf schüttelte.
    - Kiko?

    Daniel begriff, daß Vater nicht wußte, wer Kiko war. Er hatte nie nach dem Leben gefragt, das Daniel gelebt hatte, ehe er in dem Verschlag bei Andersson landete. Wie sollte er ihm erklären, daß es vor ihm einen Mann gegeben hatte, der Kiko hieß?

    - Kiko, wiederholte Vater.
    - Er und Be waren die, die mich geboren haben. Kiko hat eine
    Antilope an eine Felswand gemalt. Er hat mich alles über die Götter gelehrt. Eines Tages war er tot, genau wie Be.
    Daniel sprach sehr langsam. Er suchte nach den richtigen Worten und bemühte sich, sie so deutlich wie möglich auszusprechen. Vater sah ihn völlig verblüfft an.

    - Du sprichst ja? In ganzen Sätzen!
    Es war, als hätte er Kiko vergessen. Als hätte er nicht gehört, was Daniel gesagt hatte.

    - Du bist ein bemerkenswerter Junge, fuhr Vater fort. Du hast schon angefangen, die Sprache zu lernen. Du sprichst wie ich, mit småländischem Dialekt. Und du kommst aus einer Wüste, von weit, weit her.
    Daniel wartete darauf, daß Vater nach Kiko fragen würde. Aber er redete nur weiter von der Sprache. Davon, daß Daniel sprechen konnte. Was er gesagt hatte, war nicht wichtig.

    Am späten Nachmittag erreichten sie eine kleine Stadt, in der sie an Land gingen. Am Kai stand Wickberg. Neben ihm warteten zwei Jungen mit einem Karren. Den roten Mantel hatte er von innen nach außen gewendet, so daß jetzt das graue Futter zu sehen war. Er nickte zufrieden, gab Vater die Hand und tätschelte Daniels Kopf.
    - Die Sache läßt sich hervorragend an. Der Bürgermeister, ein Amateurbotaniker, überläßt uns den Sitzungssaal im Rathaus. Er rechnet mit großem Zulauf. Provisorische Plakate sind aufgehängt. Aber bis Strängnäs werden sie gedruckt sein. Eine furchterregende Schlange, die einen Menschen am Stück verschlingt. Ein schwarzer Mann mit einem Speer. Um Leute anzulocken, kann man andeuten, daß der schwarze Mann nackt ist.

    Daniel sah, wie Vater die Stirn runzelte.
    - Ich zeige keine Schlangen.
    - Das macht nichts.
    - Ich will, daß es wahrheitsgetreu und wissenschaftlich ist.
    - Schlangen sind gut. Sie ziehen das Publikum an. Nach Strängnäs können wir eine kleine Schlange mitnehmen.
    Wickberg beendete damit das Gespräch. Sie begannen ihren Marsch in die Stadt.
    - Es gilt, auf der Hut zu sein, murmelte Vater.
    Daniel überlegte, was er wohl damit meinte. Er sah zu den Hausdächern hoch, zu den Wolken. Aber nirgends konnte er eine Gefahr entdecken, die ihnen drohte.

    Am Abend saß Daniel wieder unter seinem Leintuch. Er übte, was er sagen sollte, und nahm sich vor, selbst wenn er Kiko entdecken sollte, nicht zu ihm hinzulaufen.
    Diesmal erzählte Vater besser. Das konnte Daniel hören. Er war nicht nervös, seine Stimme war fest und bestimmt. Manchmal gelang es ihm sogar, die Menschen im Saal zum Lachen zu bringen. Daniel dachte, er sollte Vater gegenüber Dankbarkeit empfinden. Auch wenn er ihn auf diese unbegreifliche Reise mitgenommen, ihn geraubt hatte, so hatte er doch etwas Gutes mit ihm im Sinn gehabt. Daniel konnte nur nicht verstehen, was. Es war vorgekommen, daß er Erwachsene von Prüfungen sprechen hörte, die den Menschen stark machen. Kikos Bruder Uk war einmal von einem Leoparden verletzt worden und hatte sich mit einem gebrochenen Bein eine weite Strecke geschleppt. Das war eine Prüfung gewesen. Es hatte nicht nur Uk, sondern auch die anderen Mitglieder der Familie gelehrt, vorsichtiger zu sein, wenn sich eines der großen Katzentiere in der Nähe befand. Aber welcher Prüfung er sich selbst unterziehen sollte, wußte er nicht. Vielleicht ging es einfach darum, daß er etwas lernen sollte, was bisher nur ein einziger weißer Mann gekonnt hatte: auf dem Wasser gehen.
    Er spürte Vaters Hand auf seinem Kopf, den festen Griff am Tuch. Als es langsam weggezogen wurde, war er bereit. Es ging ein Raunen durch den Saal, er hörte eine Frau hysterisch lachen, aber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er machte einen Diener, sagte seine Worte und stand ganz still. Kiko war nicht im Saal. Vater lächelte ihm zu und öffnete ihm dann den Mund, damit alle seine Zähne sehen konnten. Vater drückte und zog an seinen Armen, aber nicht so fest, daß es weh tat. Als Daniel die Backen aufblies, applaudierten die Menschen. Und anschließend saß er ganz still, als die Leute ankamen und ihn

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