Die rote Antilope
Seele zerrissen, und ich wäre zum Ausgang gerannt.
- Wir sprechen vom Sekretär.
- Ich weiß. Aber man kann auf mehr als eine Sache zugleich antworten.
Hake griff sich ans Herz und zog ein paar Scheine hervor, die er Vater hinblätterte.
- Die Hüttenwerke haben zur Zeit sehr wenig Konjunktur, sagte er belehrend. Es gibt zu wenig Krieg in der Welt. Mehr als das kommt nicht in Frage. Außerdem müssen die Gesangbücher bezahlt werden.
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging. Der Schmied blieb noch ein wenig stehen.
- Wie zum Teufel kann man einen Menschen vorzeigen wie in einer Menagerie? sagte er. Insekten kann man auf Nadeln spießen. Aber Menschen? Nein, pfui Teufel.
Er legte Daniel eine seiner großen Pranken auf den Kopf. Dann ging er. Hake war schon aus dem Saal verschwunden. Der Mann mit dem Hut hatte seine ursprüngliche Größe wiedergewonnen.
- Es ist alles geregelt, sagte er zufrieden. Ich habe hier übrigens eine Visitenkarte für Sie. Von einem der Anwesenden heute abend. Er möchte Sie morgen sprechen. Er hat einen Vorschlag zu machen.
- Was für einen Vorschlag?
- Geschäfte. Was kann man sonst vorschlagen?
Vater steckte die Visitenkarte ein. Die Scheine besserten seine Laune schlagartig. Er nahm den Koffer mit den Insekten und steuerte auf den Ausgang zu. Daniel folgte ihm. Sie gingen hinaus in die dunkle Stadt. Daniel sehnte sich nach dem Wasser. In der nächtlichen Dunkelheit meinte er dann und wann Kiko wieder auftauchen zu sehen. Aber es waren nur geduckte und müde Menschen, die noch nie eine Antilope gesehen hatten.
Früh am nächsten Tag, als Vater sich gerade rasierte und Daniel am Fenster saß und hinunter auf die Straße sah, klopfte es an die Tür. Vater bedeutete Daniel mit einem Nicken, daß er öffnen sollte. In das Zimmer trat ein Mann, der sehr dick war und kurze Beine hatte. Er trug einen roten Mantel und war barhäuptig. Über den Schuhen hatte er verschiedenfarbige Gamaschen. Obwohl er fett und aufgedunsen war, bewegte er sich sehr geschmeidig. Sein Gesicht war kindlich, ohne jede Prägnanz.
- Herr Bengler, Sie dürften gestern meine Visitenkarte erhalten haben?
Vater hatte den Rasierschaum abgewischt und nahm die Visitenkarte, die neben der Waschschüssel lag.
- »August Wickberg, Präsentateur«, las er.
Der dicke Mann hatte sich schon selbst zum Sitzen eingeladen und seinen kräftigen Hintern auf dem einzigen Polsterstuhl plaziert.
- Ich hoffe, ich komme nicht zu früh?
- Wenn man arm ist, kann man es sich nicht leisten, lange zu schlafen.
- Richtig. Deswegen bin ich hier.
Vater hatte sich auf die Bettkante gesetzt.
- Ein schönes Paar, sagte Wickberg. Wenn auch sehr
ungleich.
- Was tut ein »Präsentateur«?
- Sich um Leute kümmern wie Sie. Die etwas Ungewöhnliches zu bieten haben. Aber nicht wissen, wie man daraus einen Gewinn zieht.
Vater schüttelte abweisend den Kopf.
- Sie sind also eine Art Marktschreier?
- Überhaupt nicht. Ich arbeite nur mit seriösen Angeboten. Insekten, ja, aber keine Zwerge, die zappeln und Purzelbäume schlagen. Menschen zu zeigen, die schwarz sind, ist Bildung. Im Gegensatz zu verführerischen Damen, die sich mit trägen Pythonschlangen um den Hals räkeln. Wir leben in einer Zeit, in der das Seriöse immer wichtiger wird. Vater brach in Gelächter aus.
- Den Eindruck habe ich nicht gerade.
- Sie sind lange fort gewesen. Veränderungen geschehen schnell. Vor ein paar Jahren hätte man nicht im Land herumreisen und ein zahlendes Publikum anlocken können, mit einem Mann als Hauptattraktion, der in der Erde nach alter Bronze gestochert hat. Das geht vielleicht auch immer noch nicht. Aber es kommt. Die Menschen suchen nicht nur Zerstreuung, Herr Bengler. Sondern Bildung.
- Genau wie Freiherr Hake also?
- Dieser Mann heuchelt, wenn der Ausdruck gestattet ist. Er schmeichelt sich bei den wirklichen Arbeiterfreunden ein, aber eigentlich haßt er sie. Die Zustände in seiner Eisenhütte in Roslagen sollen entsetzlich sein. Die Menschen werden wie Sklaven gehalten. Um nicht zu einer Reichstagsfrage zu werden, hat er die Schirmherrschaft über den Arbeiterverein übernommen. Dort sollte vor einem Monat ein Vortrag mit anschließender Diskussion über den »Sinn des Lebens« stattfinden. Als Redner geladen waren ein Schneidergeselle und ein Pastor. Der Schneidergeselle kam nie zu Wort, da der Pastor predigte. Die Leutnants hatten ihre Burschen hinbeordert, um die Stühle zu füllen. Die Freunde des
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