Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
Boden. Daniel sah sofort, daß sie lange nicht mehr seilgesprungen war. Aber einmal hatte sie es gekonnt, und sie hatte es nicht vergessen.

    Sie blieb stehen und strich die Röcke wieder glatt. Für einen kurzen Moment war Daniel enttäuscht. Er hatte sich an der Stelle gegen ihren Körper lehnen wollen, wo ihre Strümpfe endeten, wo die Haut genauso weiß war wie ihre Finger. Sie war außer Atem. Die Brüste hoben sich, und wieder sah er Be vor sich, obwohl sie nie etwas angehabt hatte, was den Oberkörper verbarg. Kiko gefiel es, mit ihren Brüsten zu spielen. Er hatte ihnen Namen gegeben, und Be hatte gelacht und erwidert, sie erwarte bereits ein Kind und müsse keine freundlichen Worte über ihre Brüste zu hören bekommen. Daniel überlegte, ob er die Frau, die auf dem Boden saß, bitten sollte, ihr Kleid auszuziehen, wenigstens am Oberkörper. Da sie seilgesprungen war und wußte, daß es keinen Löwen gegeben hatte, wäre es vielleicht nicht gefährlich, zu fragen. Er deutete auf die schwarzen Knöpfe, die das Kleid über der Brust zusammenhielten. Sie sah ihn fragend an.
    - Das heißt Knöpfe.

    Das wußte Daniel bereits. Vater pflegte jeden Morgen, besonders, wenn er am Abend zuvor getrunken hatte, die satanischen Kragenknöpfe anzuschnauzen.
    - Mach auf, sagte er.
    Sie sah ihn lange an und saß ganz steif da, und Daniel wußte schon, daß er etwas gemacht hatte, was falsch war. Aber dann besann sie sich und knöpfte das Kleid auf, neun Knöpfe, von oben nach unten, dann öffnete sie ein weißes Mieder, und er konnte ihre Brüste sehen. Zu seinem Erstaunen glichen sie Bes Brüsten. Alle Frauen haben verschiedene Brüste, genau wie alle Männer verschiedene Brustkörbe haben. Aber die Frau, die ihm gegenübersaß, hatte die gleichen Brüste wie Be. Daniel konnte seinem Verlangen nicht widerstehen, er preßte sich fest an sie, und sie zog sich nicht zurück, auch wenn sie sich anspannte.
    - Ich bin deine Mutter, sagte die Frau. Sie ist in diesem Moment hier.

    - Be ist tot, antwortete Daniel. Sie starb in dem Blut, das in den Sand floß. Als Kiko kam, hatte sie schon aufgehört zu atmen. Ich selbst lag hinter einem Haufen von Kudufellen, und die Männer mit den Speeren und den Gewehren haben mich nicht entdeckt. Aber Kiko kam zu früh. Einer von denen, die noch geblieben waren und allen die Ohren abschnitten, die sie getötet hatten, sah Kiko und schoß ihm in den Kopf.

    Die Frau legte ihm ihre Arme um den Kopf. Daniel fühlte, daß Be jetzt sehr nahe war.
    - Was ist geschehen? fragte sie.

    - Ich weiß es nicht. Männer kamen geritten, sie waren weiß und hatten eine Fahne mit einem Adler. Sie lachten viel, und dann fingen alle an zu schießen und fragten sich nicht, warum. Wären wir Tiere gewesen, hätten sie uns gehäutet. Wären wir Tiere gewesen, hätten sie uns gegessen. Aber sie taten nichts anderes, als uns zu töten und uns die Ohren abzuschneiden. Bei Andersson habe ich einmal gehört, daß unsere Ohren mit Talg steif gemacht wurden und daß man sie dann als Schalen für Zucker und Schokolade verwendete.
    - Wer war Andersson?
    - Er hat mir das Leben gerettet. Er hat mir eine Kiste gegeben, in der ich wohnte. Dann kam Vater und nahm mich mit. Er nannte mich Daniel, ließ mich Schuhe an den Füßen tragen und brachte mich übers Meer hierher.
    Daniel empfand eine große Ruhe, während er, an ihre warmen Brüste gedrückt, erzählte. Er konnte ihren Herzschlag spüren und den süßlichen Geruch nach Schweiß. Ihm fiel dabei ein Erlebnis ein, das er als kleines Kind gehabt hatte. Eines Nachts war er aufgewacht und hinausgegangen und hatte in den Sand gepinkelt. Gerade in dieser Nacht war der Sternenhimmel über der Wüste besonders klar. Die Sterne waren Augen, die ihn ansahen, ihn pinkeln und dann gähnen sahen. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß die Sterne ihn sahen. Es hatte ihn aus dem Sand emporgehoben, in einen unsichtbaren Wirbelsturm hineingesogen, zu all diesen glitzernden Lichtpunkten hin, und er hatte verstanden, daß sie eigentlich ganz nah waren, die Augen der Götter, und ihn immer begleiten würden. Daran erinnerte er sich jetzt, als er die Wärme ihrer Brüste spürte, und er wußte, er würde schreien, sie vielleicht beißen, wenn sie sich plötzlich entzöge und anfinge, ihre Knöpfe wieder zu schließen.

    - Dann bist du hierhergekommen.
    - Ich kam in eine Stadt, wo zwei Mädchen auf einem Hinterhof seilhüpften. Vater hatte den Koffer voll mit Insekten, und er band mich fest, damit

Weitere Kostenlose Bücher