Die rote Farbe des Schnees
„Ich
richtete mich heute bereits danach und fühle mich schon besser.“
„Das bemerke ich.“
Miriam seufzt. „Heute war es
mir ja auch ein Leichtes, Awin auszuweichen. Sie war auf der Jagd.“
Joan bemerkt ihre Verzweiflung,
spürt ihr Verlangen, sich ihr mitzuteilen. So setzt sie sich neben ihr aufs
Bett.
„Warum vertraust du ihr nicht
einfach an, dass du umgehend Ruhe benötigst.“
Miriam blickt unglücklich
drein. „Das Schlimme ist, dass sie sich ihrer Wirkung auf mich überhaupt nicht
bewusst ist. Sie wäre zutiefst gekränkt, wenn ich es ihr erklärte.“
„Dann weise sie das nächste Mal
darauf hin, wenn es wieder geschieht.“
Miriam kommen die Tränen. „Ich
bin nicht einmal halb so couragiert, wie du annimmst. Schließlich bin ich ein
Niemand. Habe mich Amál hingegeben wie eine läufige Hündin und mich obendrein
von ihm schwängern lassen. Ich schlich mich hier ein, begreifst du?“
Joan steht vor Sprachlosigkeit
der Mund offen. Sie schluckt konsterniert. „Ich verstehe. Aber anders, als du
denkst. Du selbst bereitest dir mit diesen unsinnigen Gedanken Unruhe und
Pein.“ Sie streicht sich grübelnd eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du
bist kein Niemand. Und Amál war ebenso beteiligt. Du trägst sein Kind unter dem
Herzen, Awins Enkelkind. Du bist schön und gewitzt, hast einen wachen Verstand.
Amál liebt dich. Es spricht niemand dagegen, dass ihr euch vermählt. Warum
auch. Es ist standesgemäß und ihr seid obendrein glücklich miteinander. ...
Verkaufe dich nicht unter deinem Wert, Miriam. Und hör endlich damit auf, dich
selbst zu quälen.“
„Aber ich kann Awin nichts
recht machen“, ruft sie verzweifelt.
Joan lacht auf. „Ich auch
nicht. Und weißt du was: sie ist ebenfalls nicht frei von Fehlern. Schließlich
beging sie mit Malcoms Vater Ehebruch. Oder soll ich sagen, dem Herrn sei
gedankt? Sonst gäbe es deinen Bräutigam nicht.“
Miriam hat sich mit einem
ungläubigen Ruf kerzengerade hochgesetzt. Forschend starrt sie in Joans
ernsthafte Miene, um daraufhin fassungslos aufzulachen. Ein wissendes Grinsen
erhellt ihr Gesicht.
„Du wusstest es nicht“, bemerkt
Joan seufzend.
„Ehrlich gesagt, ... nein. Ich
dachte stets, Malcom und Amál seien Cousins.“
Joan nickt. „Nun ja. Es war
auch mir lange Zeit unbekannt. Sie verlieren wohl absichtlich nicht viele Worte
darüber und glauben, es wüsste ohnehin jeder, weil sich alle Welt das Maul
zerreißt.“
Miriam streckt die Arme nach
Joan aus und drückt sie fest an sich. „Glaube mir, dieses Wissen bewirkt
einiges bei mir.“
Joan seufzt. „Hoffentlich.“
Sie blicken sich lächelnd an.
„Dann sind wir wohl bald Schwägerinnen“, lacht Miriam. „Ich könnte mir keine
bessere wünschen.“
Sie kichern.
Miriam betrachtet sie plötzlich
versonnen. „Dann fällt es mir umso leichter, dich um etwas zu bitten.“
„Nur zu.“
„Ich wünsche mir nichts
sehnlicher, als dass du bei der Entbindung zugegen wärst.“
Joan ist überrascht. „Das ehrt
mich. Doch lass dir gesagt sein, dass ich nur wenig Erfahrung mit Entbindungen
habe. Zieh bitte noch die Hebamme hinzu.“
Miriam nickt. „Mich beruhigt
schon der Gedanke, dass du da sein wirst.“
Joan zuckt die Schultern. „Wenn
Malcom einverstanden ist, soll es so sein. Wann ist es denn so weit?“
„In etwa um Weihnachten.“
Joan stöhnt. „Ich hoffe, du
weißt zu schätzen, was ich da auf mich nehme.“
Miriam betrachtet sie grübelnd.
„Noch zwei
Monate Awins Gesellschaft ertragen“, erklärt sie, worauf sie sich
verschwörerisch kichernd die Hände vor den Mund halten.
„Des
Herbstes Kälte verheißt Winters Milde“, bemerkt Blanche mit klappernden Zähnen.
Joan nickt und zieht ihren warmen Wollmantel enger um sich. „Man muss allem
etwas Gutes abgewinnen.“
Wie zur Bestätigung schnaubt
Brix unter ihr laut. Eine erneute eisige Böe lässt sie beide erschauern und
sich an die Rücken ihrer Männer vor ihnen schmiegen. Das Wetter hatte von
gestern auf heute jäh umgeschlagen. Regengüsse haben die Luft empfindlich
abgekühlt. Vom lauten nächtlichen Gewitter ist jeder übermüdet. Etliche Male
schlug der Blitz ohrenbetäubend in den See ein. Joan unterdrückt den Gedanken
daran, dass es ein schlechtes Omen für das Brautpaar ist. Vor Kälte zittert sie
wie Espenlaub in ihrem grünen Samtkleid. Wie froh sie ist, die Kinder in Agnes
Obhut auf der Festung belassen zu haben. Sie hätten sich in der eisigen Kirche
von Dowell oder
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