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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Anmut, die in jedem ihrer Schritte
liegt. Sie trägt ein schlichtes, dunkelrotes Seidenkleid, dessen Faltenwurf an
die Wellenbewegung des Seewassers erinnert.
    Timothy fasst sie um die schlanke
Taille. „Ich gebe noch einmal eine kleine Jagd. Die gestrige war nicht eben von
Erfolg gekrönt.“ Er erhebt den Zeigefinger. „Heute akzeptiere ich keine
Ausreden.“
    Awin hebt abwehrend die Hände.
„Ich wollte zugegen sein, wenn Miriam ihre Hebamme empfängt.“ Ihr wird jedoch
ein entschiedenes Kopfschütteln ihres Ehemannes zuteil. „Sie kommen auch ohne
dich zurecht. Und für morgen ist schon längst alles vorbereitet. Ich sehe
nichts, was dir wirklich hinderlich sein könnte, mir heute neben unseren Gästen
Gesellschaft zu leisten.“
    Awin seufzt ergeben. „Was
könnte ich dir schon abschlagen?“ Ihr Blick wandert zu Joan. „Bitte schätze das
Wissen der Hebamme ganz unvoreingenommen ein.“
    Joan grinst. „Miriam hat mich
nicht um meine Anwesenheit gebeten. ... Wir werden uns noch früh genug von ihr
überzeugen können. Überdies will ich endlich einmal wieder mit Malcom auf die
Jagd.“
    Es ist für Timothy das
Stichwort. Auf Awins bedauerndes Seufzen hin klatscht er ungeduldig in die
Hände.
    „Die
Treiber sind bereits an Ort und Stelle, wie mir mein erster Wildhüter
ankündigte. Wir werden alles erlegen, was wir vor die Nase bekommen. Gib’
deinen Männern Bescheid, Mal. Wir versammeln uns im Hof.“
    „Herr im
Himmel. Versteht ihr das unter einer kleinen Jagdveranstaltung“, fragt Joan
Awin verwundert, während sie von ihrem Schimmel aus über die unzähligen
Menschen auf dem Hof blickt. Insgeheim fühlt sie mit den armen Bauern, denn es
wird nicht ausbleiben, dass sie über deren Felder reiten, die schon mit der
Wintersaat bestellt sind.
    „Joan! Führe den Namen des
Herrn niemals eitel“, tadelt Awin. „Du rufst den Herrn ständig unangebracht an.
Daran muss ausgerechnet ICH dich als einstige Muslima erinnern, die zum
christlichen Glauben konvertierte.“
    Joan atmet gefasst durch und
mustert Awin von der Seite. „Es ist mir nicht vergönnt, auch nur EIN Wort mit
dir zu wechseln, ohne sogleich zurechtgewiesen zu werden“, klagt sie.
    Awin fährt überrascht zu ihr
herum, so dass der schiefergraue Habicht auf ihrer behandschuhten Linken
beunruhigt den Kopf mit der Haube wendet und sich ganz dünn macht. „Dein
Benehmen ist äußerst ungebührlich“, erwidert sie ungehalten.
    Joan seufzt resigniert. „Siehst
du!“
    Awin betrachtet sie verärgert,
dann etwas nachdenklich. Der elegante Zelter unter ihr tänzelt nervös, worauf
sie ihn straffer nimmt.
    „Liegt es an meinem Alter, dass
du dich ständig gezwungen siehst, mich zu verbessern? Jemand anderem hättest du
den kleinen Fehler sicher ohne weiteres nachgesehen.“
    Awin lächelt und legt
beschwichtigend eine Hand auf Joans Arm. „Nein. Ich lege bei jedem solch hohe
Maßstäbe an. Es ist das, was ich mir auch selbst abverlange, sich jeder
auferlegen sollte. Ohne ein gewisses Maß an Ordnung, Benehmen und Gottvertrauen
versinkt die Welt in Wirrwarr, Frivolität und Angst. Das gilt im Kleinen wie
auch im Großen.“
    „Du klingst sehr ritterlich,
wie ich finde“, erwidert Joan kritisch.
    „Oh, ich versichere dir, wenn
sich mancher so genannte Ritter auf seinen Eid besänne, wäre die Welt um vieles
besser.“
    Joan wiegt nachdenklich den
Kopf. „In dieser Hinsicht bin ich allerdings geneigt, dir zuzustimmen.“
    Awin nickt. „Wenigstens stimmen
wir im Groben überein.“
    Joan gibt sich überrascht.
„Mich verwundert, dass wir es ÜBERHAUPT tun“, bemerkt sie und lacht.
    Awin schmunzelt. „Ich glaube,
wir sind uns ähnlicher, als du womöglich annimmst.“
    Es bewirkt, dass Joan das
Grinsen vergeht. Ungläubig schüttelt sie den Kopf, findet jedoch keine
Gelegenheit mehr für eine Entgegnung, da das Jagdhorn erschallt.
    „Mein holder Gemahl erwartet,
dass ich an seiner Seite reite“, bemerkt Awin ironisch. „Entschuldige mich
vorerst.“
    Joan nickt verstehend.
    Awin schnalzt mit der Zunge und
stößt ihrem Fuchs die Fersen in die Seite. Das Tier trabt gutmütig an,
woraufhin sie es einhändig überraschend geschickt zwischen den unzähligen
Berittenen hindurch auf Timothy in Nähe des Tores zu lenkt. Joan mustert ihre
stolze Haltung im Damensitz, den außer Joan selbst alle der hier versammelten
Jagdteilnehmerinnen auf deren Zeltern innehaben. Und es sind derer nicht
wenige. Nutzen doch auch die Damen die Abwechslung der

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