Die rote Halle
erfühlte die sanften Kuhlen zwischen den
Rippen, die ihr Durchlass zu Herz und Lunge gewähren würden. Im gemeinsamen
Rhythmus ihres Atems erfühlte sie den richtigen Moment. Als Dave begann, ihre
Halsbeuge zu küssen, hatte sie genügend Mut gesammelt. Sie hatte genug an
Schweinen geübt, um zu wissen, wie widerstandsfähig Haut war, wie entschlossen
sie sein musste.
»Ich bin so froh, dass wir uns wiederbegegnet sind.«
Janina stach zu.
Dave umfasste ihre Schultern mit den Händen, brachte eine Armlänge
Abstand zwischen sich und sie und sprach.
»Ich weiÃ, dass es nicht leicht wird mit uns. Aber ich bitte dich,
lass es uns versuchen.«
Janina schüttelte seine Hände ab, riss die Schere hoch, sein Blut
spritzte von den Scherenblättern auf Daves Gesicht, doch er schien es gar nicht
zu bemerken, blickte sie nur aus groÃen Augen an.
Sie stieà wieder zu, diesmal mitten in seine Brust, sah, wie die
Schere in seinen Körper eindrang. Dave griff nach ihren Handgelenken und hielt
sie fest.
»Janina, bitte! Ich weiÃ, dass du wütend bist. Und du hast allen
Grund dazu, nach wie vor. Aber ich kann im Moment nicht mehr tun, als
aufrichtig um Verzeihung zu bitten.«
Die Schere ragte aus seiner Brust wie der Aufziehschlüssel eines
Blechspielzeugs.
Als Janina zu schreien begann, wurde sein Griff noch fester.
»Janina! Janina!«
Erst, als er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, schnappte
sie nach Luft und hörte auf zu schreien. Sie hatte die Lider zusammengepresst,
hörte ihn atmen, hörte ihn immer noch atmen, fühlte seinen festen Griff.
Als sie die Augen endlich zu öffnen wagte, saà Dave vor ihr und
hielt ihr ein Papiertaschentuch hin.
Kein Blut. Keine Schere in seiner Brust.
»Kannst du mir meine Tasche geben?«, bat Janina.
Die Schere war noch dort, wo sie sie hingetan hatte, bevor sie zu
Rost ins Krankenhaus gefahren war.
»Entschuldige«, sagte Janina. »Ich habe immer noch nicht
geschlafen.«
Dave nickte und stützte sie, als sie aufstand und unsicher Richtung
Ausgang wankte. Sie brauchte einen verdammten Plan, bevor sie endgültig
zusammenbrach. Sie musste handeln.
Nach der Szene in der Starbar war sich Helge noch sicherer als zuvor, falls das möglich war, dass Janina
Zöllner etwas zu verbergen hatte. Sie hatte Warschauer nicht einfach nur eine
geknallt, weil er sie vielleicht unsittlich berührt hatte. Es hatte ausgesehen,
als ob sie ihn mit bloÃen Händen umbringen wollte. Mittlerweile war Helge
überzeugt, dass sie in diese angeblichen Entführungs- und tatsächlichen
Todesfälle verstrickt war. Aber was er brauchte, war etwas Konkretes, etwas
Handfestes.
Als Krissie anrief, um ihm mitzuteilen, dass sie wussten, wohin
Hanno Lang sich verzogen hatte, bogen Dave Warschauer und Janina Zöllner gerade
in die Kleingartensiedlung hinter dem Flughafen ein. Wenigstens ein Knoten, der
sich löste. Mit dem Zuhälter würden sie leicht fertigwerden. Aber das war nur
ein Knoten von vielen. Blieben noch: Dave Warschauer, der finale Streit mit
Rose Berlin. Und Frau DeeDee, die hätte auch einen Grund gehabt, Rose Berlin um
die Ecke zu bringen. Am meisten Sorgen machte ihm aber Janina Zöllner.
Wahrscheinlich war sie im Krankenhaus gewesen bei Rosts Tod. Und was ihren Sohn
betraf, tischte sie mit Sicherheit Lügen auf. Doch irgendein wesentliches
Puzzleteil fehlte noch, irgendeine Information. Frau DeeDee wirkte am
skrupellosesten, Warschauer schien ehrlich, aber ahnungslos. Und Frau Zöllner
war zu verzweifelt angesichts der Tatsache, dass ihr Sohn gerade wieder aufgetaucht
war. Er entschied sich erneut für Janina Zöllner. Sie war der Schlüssel.
Als er hinter ihr und Warschauer aus dem Grün auftauchte und der
Flughafen in Sicht kam, rief Helge Krissie noch einmal an. Sie sollte die
letzten Flüge von Berlin nach Vancouver überprüfen. Er glaubte nicht, dass Simon
Zöllner ein Ticket verkauft worden war.
Janina lieà sich in den dünnbeinigen Sessel vor ihrem Fenster
fallen. Das Nachmittagslicht war grau und trübe, der Himmel verhangen, die Luft
immer noch kalt und feucht. Der Sommer schien vorbei zu sein. Mittlerweile
hatte sie Mühe, wach und bei Bewusstsein zu bleiben, ihr Körper würde nicht
mehr lange durchhalten. Nur ihr Geist lief nach wie vor auf Hochtouren. Wie
konnte sie tun, was verlangt wurde? Wie konnte sie es tun, bevor sie so
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