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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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unablässig im Kreis wirbelt, daraus wird dann die Atomhülle. Die
Bewegung der Hülle ist so schnell, dass sie nur noch eine verschwommene Wolke
ist. Unheimlich schnell. Und je schneller die Drehung, desto stiller wird es
innen. Das ist Tanz. Ausdruck der Schöpfung.«
    Dave trank den Rest seines ersten Mai Tai aus und stellte das Glas
dann bewusst sanft auf den Tisch. Seine Stimme war voller Leidenschaft, und
Janina betrachtete sein schönes, aufgeheiztes Gesicht, während er seinen
alkoholisierten Monolog fortsetzte.
    Â»Tanz!« Dave breitete die Arme zu einer weltumspannenden Geste aus.
»Wenn du dich dem Leben hingeben kannst, dann kannst du auch tanzen. Du tanzt
und tanzt … und tanzt … bis es nur noch den Tanz gibt. Wir sterben, wir kommen
und gehen. Aber der Tanz bleibt. Wenn du tanzt, dann wirst du eins mit dem
Leben, du wirst erobert und bist der Eroberer. Du bist der Wissende und alles,
was gewusst werden kann. Und dann bist du das Geschöpf und der Schöpfer und …«
Dave hielt inne, packte Janina am Arm und sah sie intensiv an.
    Â»Verstehst du, was ich meine?«
    Janina nippte an ihrem Cocktail und nickte. Sollte er weiterreden,
sollte er weitertrinken. Je betrunkener er war, desto leichter würde sie es
haben, dann wären seine Reflexe schlechter, seine Aufmerksamkeit herabgesetzt.
    Daves Augen glänzten, er war von seinen eigenen Worten gerührt.
    Â»Siehst du, du verstehst das. Dabei sind
diese Gedanken nicht mal von mir, sondern von einem anderen Tänzer. Einem
großen Tänzer! Aber DeeDee hat das niemals begriffen.« Plötzlich klang Dave
nicht mehr betrunken, sondern ernst.
    Â»Sie kann sich nicht hingeben. Man kann es an ihrem Gesicht sehen,
wenn sie es versucht. Sie zählt den Takt. Und eins und zwei und drei und vier
und fünf und sechs und sieben und acht und.« Dave deutete verschiedene Ballettposen
mit den Armen an, drehte den Kopf nach links und nach rechts. Dann ließ er die
Arme fallen. »So ist das vollkommen falsch!«
    Der Kellner brachte zwei neue Mai Tai, obwohl Janina mit ihrem
ersten kaum begonnen hatte. Mit etwas Glück würde Dave einfach den dritten auch
noch trinken.
    Â»Sie versucht mit dem Verstand zu tanzen, nicht mit dem Herzen und
mit dem Körper. Daran erkennt man, ob jemand das Zeug dazu hat, mit dem Leben
zu verschmelzen. Aber DeeDee hat kein Mitgefühl. Daran liegt es.«
    Dave nahm Janinas Hand, sah ihr erneut in die Augen.
    Â»Du traust es dir selbst nicht zu, aber du hast es. Im Gegensatz zu
DeeDee.«
    Janina tauchte für einen Moment aus ihren Gedanken auf.
    Â»Was?«
    Â»Ja, wirklich! Ich weiß das. Du kannst loslassen. Du kannst dich
hingeben. Dir fehlt nur die Technik.«
    Was hätte Janina nur wenige Tage zuvor für solche Worte von Dave
Warschauer gegeben. Sie hätten pures Glück bedeutet, hätten einen ganz anderen
Menschen aus ihr machen können. Statt eine unsichere, unscheinbare Mittdreißigerin
zu bleiben, hätte die dicke Haut vielleicht aufbrechen, die Schale
dahinschmelzen können.
    Doch jetzt entzog sie ihm ihre Hand, hielt sich mit beiden Händen an
ihrem Drink fest.
    Es dauerte eine Weile, bis Dave wieder sprach, und er klang jetzt leise,
fast kläglich.
    Â»Ich kann nicht fassen, dass Joe auch … ich kann es einfach nicht
glauben.« Seine Stimme zitterte.
    Â»Er will, dass wir beide seine Inszenierung zu Ende bringen. Es ist
sein letzter Wille. Er hat es auf einen Zettel geschrieben, bevor er es getan
hat.«
    Â»Was sollen wir denn jetzt bloß tun?«, fragte Dave verzweifelt.
»Janina, bitte, du musst dich zu nichts verpflichtet fühlen. Aber brauchst du
denn jetzt nicht auch ein bisschen Trost, ein bisschen Nähe?«
    Janina nickte und tat, was er sich wünschte: Sie nahm ihn in die
Arme, hielt ihn fest, und er hielt sie fest. Er fühlte sich warm an, sie spürte
die Tänzermuskeln unter ihren Händen, roch die Mischung aus Männerparfum,
Zucker und Alkohol und konnte sich nicht sattriechen.
    Der Rest geschah ganz von allein, sie musste nichts entscheiden,
nichts denken, sie musste sich einfach nur dem hingeben, was das Leben von ihr
wollte.
    Ihre rechte Hand wanderte seinen Rücken hinab, tiefer, fand ihre
Tasche und in der Tasche die Schere, die angenehm kalt in der Hand lag. Sie
ließ die linke Hand unter sein T-Shirt gleiten, strich über den dünnen
Schweißfilm auf seiner Haut und

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