Die rote Halle
wirklich tricksen
müssen, damit ihr für diese Sache hier frei seid.«
Rost versuchte ein Zwinkern, aber auf Janina wirkte es eher wie eine
Zuckung, und in ihr zog sich die Gewissheit zu einem kleinen, festen Knoten
zusammen, dass etwas Unangenehmes bevorstand.
In der Ehrenhalle war es jetzt bis auf das Rasseln von Rosts Atem
vollkommen still.
»Ihr müsst nämlich wissen, das hier wird definitiv und unumstöÃlich
und ohne jeden Zweifel meine letzte Inszenierung sein.«
Hintern, die auf Stühlen rutschten, raschelnder Stoff, doch niemand
schien das kommentieren zu wollen.
»Das ist übrigens kein Marketinggag, damit ich später mein groÃes
Comeback feiern kann.«
Noch immer sagte niemand etwas.
»Also. Ich will, dass dies die Inszenierung wird, von der man sagen
wird, sie sei meine beste gewesen. Ich will, dass wir alle uns unsterblichen
Ruhm damit verdienen.«
DeeDee beugte sich zu Janina herüber und raunte ihr ins Ohr: »Das
sagt er doch jedes Mal.«
»Ich verlange von jedem von euch einhundertprozentiges Engagement.
Keine Techtelmechtel, auch nicht unter den jungen Leuten. Keine Intrigen. Keine
Aktivitäten, gleich welcher Art, neben der Inszenierung. Leute, es sind nur ein
paar Wochen eures Lebens. Aber in dieser Zeit verlange ich absolute,
uneingeschränkte Konzentration. Absoluten Gehorsam. Absolute Loyalität. Für die Roten Schuhe. «
Rost keuchte jetzt, sein Gesicht war violett vor Anstrengung, und
trotzdem hielt er immer noch die Arme ausgebreitet, und Janina sah, wie sie vor
Anstrengung in den Jackettärmeln zitterten. Hinter sich hörte sie ein
verhaltenes Räuspern, dann war es wieder still.
Rost lieà die Arme sinken.
»Ich wünsche in dieser Sache weder Fragen noch Kommentare. Wer nicht
bereit ist, sich daran zu halten, kann jetzt sofort aufstehen und gehen.«
Rost wartete. Niemand stand auf.
Dann wechselte er übergangslos von feierlichem Ernst zu aufgeräumter
Fröhlichkeit.
»Schön«, sagte er und klatschte in die Hände. »Ich habe natürlich
nichts anderes von euch erwartet.«
Janina dachte nicht zum ersten Mal, dass Rost ein begnadeter
Schauspieler war. Vielleicht übertrieb er die Darstellung seines desolaten
Zustandes einfach ein wenig, damit ihm niemand in den Rücken fiel. Zuzutrauen
wäre ihm das.
»Machen wir eine Vorstellungsrunde. Zuerst: DeeDee! Komm doch bitte
mal auf die Bühne, Schätzchen, ja?«
DeeDee stand auf, und Rost half ihr, den groÃen Schritt auf das
Podest zu bewältigen.
»DeeDee ist unsere Komponistin. Jeder von euch dürfte ihre Arbeiten
kennen. Aber diesmal hat sie ein unfassbares Teil geschrieben, unglaublich. Wie
viele Jahre hast du daran gearbeitet, Schatz?«
»Etwa fünfzehn Jahre. Natürlich nicht ununterbrochen«, sagte DeeDee
und lief ein wenig rot an.
»Wenn ihr euch fragt, woher all diese musikalische Tiefe und
Substanz kommt: Aus den Tiefen der Zeit â und aus der Tiefe menschlichen
Schmerzes! DeeDees Genie wird uns alle überleben!«
DeeDee lachte jetzt. »Lieb von dir, aber lass uns auf dem Boden
bleiben.«
Rost nickte. »Schön, wie du willst. Wir werden erst in der letzten
Woche mit Orchester proben, vorher nehmen wir die Musik vom Band oder arbeiten
mit dem Korrepetitor am Klavier. Leute, aber jetzt kommt es erst!«
Rost riss die Augen auf, beugte sich gefährlich weit vor, und Janina
machte sich unwillkürlich bereit, ihn aufzufangen, falls er von der Bühne fiel.
»DeeDee ist nicht nur als Komponistin hier. Sie wird auch tanzen!«
DeeDee reckte das Kinn ein wenig vor, wie um sich gegen fragende
Blicke zu wappnen.
»Die weibliche Hauptrolle ist verkrüppelt. Denkt an das Märchen von
den Roten Schuhen . Das Mädchen, bettelarm und allein
auf der Welt, wird von einer reichen Wohltäterin aufgenommen. Aber die nimmt
ihr ihre selbst gemachten roten Schuhe weg und verbrennt sie, weil sie sie für
alte Lumpen hält. Das Mädchen trauert bitter um diese Schuhe, sie waren
Ausdruck ihrer Kreativität, ihrer Individualität. Und wegen dieses Verlustes
ist sie anfällig für Ersatzbefriedigung: die roten Tanzschuhe, die der Teufel
ihr aufschwatzt. She gotta dance, she gotta dance! Die Schuhe gehen nicht mehr
ab! Und am Ende werden ihr die FüÃe abgeschlagen, richtig? Richtig?«
Rost atmete heftig und stierte in die Runde, als er mit
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