Die rote Halle
beschwörend
geballter Faust weitersprach, sich steigerte, am Ende fast brüllte:
»Wir werden das als Befreiung inszenieren! Bis endlich die
verderblichen Schuhe ab sind, ist das Mädchen ein Krüppel. Der Tanz ist
entstellt, grotesk, obszön, ach was! Pervers!«
Rost machte eine weitere Wirkungspause, bevor er, ganz sachlich
jetzt, fortfuhr.
»DeeDee hat sich das natürlich von vornherein so auf den Leib
geschrieben. Möchtest du was dazu sagen, Schatz?«
DeeDee lächelte. Sie sprach leise, aber gut vernehmbar.
»Ich weiÃ, das sieht ein bisschen eitel aus, sich selbst so was auf
den Leib zu schreiben. Ihr müsst aber wissen, ich wollte ursprünglich einmal
Tänzerin werden, habe auch eine abgeschlossene Ausbildung und hatte sogar schon
â mit Josef als Choreograph â eine erste kleine Rolle. Das war 1996, bei seiner
legendären Cenerentola -Inszenierung. Dann hatte ich
einen Autounfall. Einerseits war das ein Glücksfall, denn ohne ihn hätte ich
vielleicht niemals meine Fähigkeit entdeckt, selbst Musik zu erschaffen.
Andererseits konnte ich niemals aufhören, meinen Tanzbeinen nachzutrauern. Ich
wünsche mir nichts sehnlicher, als zu tanzen, und ich bin Josef unendlich
dankbar, dass er mir diese Chance gibt.«
DeeDee war während ihrer Erklärung wieder ein wenig rot geworden,
und Rost nahm sie noch einmal fest in den Arm, bevor er ihr die Bühne
hinabhalf. Einige der Anwesenden applaudierten ein wenig, hörten aber gleich
wieder auf, als sie merkten, dass niemand mit einfiel.
Dann rief Rost weitere Namen und Rollen auf â Justin, HahNi, Annett,
Ralf, Matthias, und stellte jeden kurz vor.
»Und zuletzt unsere männliche Hauptrolle. Komm her, du Held!«, rief
er herzlich.
Applaus, diesmal vielstimmig und anhaltend, begleitete den Tänzer, als
er von den obersten Stuhlreihen her nach vorn durchkam. Seine Schritte hörte
man kaum auf den Podesten.
Janina wandte sich um, sah Rosts teuflischem Helden entgegen.
Blickte direkt in sein Gesicht.
Es war Dave. Dave Warschauer.
Und er sah sie nicht einmal an, als er an ihr vorbeiging.
1996, Josef Rosts alte Offiziersvilla in Berlin Spandau.
Der Salon ist mit hellem Teppich ausgelegt, die Schuhe der Gäste hinterlassen
schwärzliche Spuren darauf. Aber Rost tut so, als merke er es nicht. Auch alles
andere in diesem Raum ist hell: das weiÃe Sofa, die cremefarbene Seidentapete,
die Sprossen der Glastüren, die auf die golden erleuchtete Terrasse führen.
Zwei oder drei Journalisten stehen mit Champagnergläsern herum und sammeln
wichtige Kommentare von wichtigen Leuten ein.
Janina hält sich zurück, nur ein halbes Glas, an dem sie sich
festhält, damit niemand auf die Idee kommt, ihr ein neues in die Hand zu
drücken. Ihr ist ohnehin übel vor Aufregung, und sie schwankt zwischen Euphorie
und nackter Panik.
Jeden Moment müssen sie die geschwungene Freitreppe herunterkommen,
die Stars dieses Abends â Marianna, die die Cenerentola getanzt hat, und Dave Warschauer, ihr schöner, wunderschöner Prinz.
Rost fachsimpelt mit dem Bühnenbildner über die Architektur der
Villa, ein Nazibau, Janina findet die Mischung aus Faszination und Schaudern,
die er zur Schau stellt, befremdlich, aber sie hat jetzt keine Lust, nein,
einfach nicht die Nerven, über Rosts herausfordernden, widersprüchlichen
Charakter nachzudenken. Ãberhaupt gar keine Lust. Ihr Kopf fühlt sich leer und
wattig an, und sie hofft, dass sie hier zwischen all den Cocktailkleidern und
Fracks in ihrem einfachen Blümchenkleid nicht allzu sehr auffällt.
Und da kommen sie! Er ganz Gentleman, mit seinem
Klaviertastenlächeln, das Haar streng zurückgekämmt, die dunklen Augen. Die
Augen! Und die Bewegungen, so perfekt, passend zur Architektur knapp und exakt.
Er reicht Marianna den Arm, und sie gleiten die Treppe hinab, zwei Profis, und
doch erreicht Marianna nicht annähernd Daves Eleganz und Geschmeidigkeit, auch
auf der Bühne nicht.
Wenn Janina neben Dave geht, oder noch schlimmer: bei einer Probe
oder in der Kantine oder in seinem Zimmer durch sein Blickfeld gehen muss â
kommt sie sich immer entsetzlich plump und schwer vor, ihre Schritte werden
hölzern, als ob sie plötzlich nicht mehr wüsste, wie man Hüft- und Kniegelenke
benutzt. Es ist die blanke Scham, Besitzerin eines Körpers zu sein, der sich
nicht zu bewegen weiÃ. Und in den
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