Die Rote Spur Des Zorns
Zu aufgeregt, um sich zu setzen, lief er zwischen dem Bücherschrank gegenüber dem Schreibtisch und Clares durchgesessenem kleinen Sofa hin und her. »Sie sagen, laut diesem Polier auf der Baustelle hätte McKinley Probleme damit gehabt, dass sein Boss schwul war. Vielleicht traf er sich ja mit ein paar der übrigen Kumpels, nachdem Rider ins Kittchen gekommen war. Sie haben auf die Schwulen geschimpft, genau wie damals auf die Asiaten, und plötzlich kommt einer auf die Idee, draußen rumzufahren und sich einen Homo zu schnappen.«
»Emil Dvorak.«
»Und zwar mit McKinleys Wagen.« Russ verharrte genau vor der Uhr in Form eines Apache-Hubschraubers, die in dem Bücherschrank stand und deren Rotor der Sekundenzeiger war. »Na gut, wir haben bisher keine Bestätigung, dass es wirklich McKinleys Wagen war. Ich stelle nur Spekulationen an.«
»Nein, nein, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen.« Mit glühenden Wangen beugte Clare sich in ihrem Sessel nach vorne. »Sie meinen, diese Typen hätten sich für den Überfall auf Bill Ingraham quasi aufgewärmt.«
»Möglich wär’s. Was Emil passiert ist, scheint fast wie ein Gelegenheitsdelikt. Vielleicht sind sie am Stuyvesant Inn vorbeigefahren, weil sie hofften, Ingraham selbst zu erwischen; sie wussten ja nicht, dass er auf der Bürgerversammlung war.«
»Aber sie hatten trotzdem Erfolg, da sie ungestraft davonkamen. Das ermunterte sie zu der nächsten Tat.«
»Zu dem Überfall auf MacPherson. Der mir mehr geplant erscheint als der auf Emil. So als hätten sie ein genaues Ziel vor Augen gehabt.«
»Und Bill Ingraham? Wurde er gezielt attackiert? Haben sie sich für die Tat wirklich aufgewärmt? Oder ist es mit einem von ihnen einfach … durchgegangen?«
»Ich weiß nicht«, gestand er. »Wir tappen noch völlig im Dunkeln. Wenn wir McKinley erst einmal zur Vernehmung holen, dann werden sich diese Informationslücken im Nu schließen, denke ich. Solche Mistkerle brechen in einem Verhör schnell zusammen. Ich habe das schon öfter erlebt. Sie würden ihre eigene Mutter verraten, nur um ein paar Jährchen Strafminderung zu kriegen. Aber auftreiben muss man ihn erst mal.« Russ sank auf das zerknautschte kleine Sofa. »Ich bete zu Gott, dass die Sache klappt. Dieser Fall und meine eigene Mutter, die im Park Landfriedensbruch begeht, das hat mich alles ziemlich geschafft. Und dann noch die Berichte im Fernsehen. Wenn mich auf meinem Anrufbeantworter nicht mindestens zehn Nachrichten vom Bürgermeister und vom Stadtrat erwarten, dann fresse ich einen Besen.«
Clare zog eine lange Strähne aus ihrem Haar und spielte damit. »Hören Sie, ich muss mich entschuldigen. Ich hatte gestern Abend im Park eine ziemlich große Klappe. Manchmal rede ich einfach schneller, als ich denke.«
Er lachte. »Ach was? Darauf wär ich nie gekommen!«
»Nein, im Ernst! Ich versuche Ihnen zu sagen, dass es mir leid tut.«
Er winkte ab. »Schon gut. Wir waren beide müde und hatten einen langen Tag hinter uns. Bevor ich Ihnen den Kopf gewaschen habe, hätte ich Ihre Situation bedenken sollen. Sie sagten das, was ich mir auch gesagt habe.« Er staunte selbst, wie sehr das stimmte.
»Nicht zuletzt deshalb fühle ich mich ja so mies«, erwiderte sie und beugte sich erneut nach vorne. »Ich weiß, wie ernst Sie Ihre Verantwortung für diese Stadt nehmen. Dass ich Ihnen vorwarf, Sie würden nur Däumchen drehen, war einfach … ein Schlag unter die Gürtellinie.«
Er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, welchen Grund sie für dieses kleine Geständnis hatte. »Wissen Sie, beim Herfahren war ich noch stinksauer auf Sie. Ich merkte nicht mal, dass ich hierher fahre, bis ich vor Ihrem Haus stand.« Er lehnte sich auf dem Sofa zurück und verschränkte die Arme. »Sie haben das gesagt, was jede Menge Leute unter solchen Umständen sagen. Nur sollte ich mich fragen, warum es mir bei Ihnen so viel ausmacht.« Er sah zu, wie sie die Beine anzog, bis ihre turnschuhbekleideten Füße auf dem Sitzpolster ruhten. »Ich fürchte, die Gründe, weshalb ich nicht eine öffentliche Warnung ausspreche oder den Verdacht, dass hier Schwule angegriffen werden, publik mache, stecken alle tief in mir drin. Eben weil es sich bei den Opfern um Schwule handelt. Und weil ich mich in der Nähe von Schwulen irgendwie nicht wohl fühle.«
Sie ließ ihre Beine wieder zu Boden gleiten und schlug sie übereinander. »Aber Dr. Dvorak war doch – ist doch – ein Freund von Ihnen. Das ergibt einfach keinen
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