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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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nicht.«
    »Oh, ich war schließlich damals im Stuyvesant Inn dabei, nicht? Ich habe Sie mit Stephen und Ron erlebt. Sie benahmen sich wie eine Katze in einem Zimmer voller Schaukelstühle, hätte meine Oma Fergusson gesagt.«
    »Finden Sie?«
    »Ja.« Sie zwirbelte die Strähne um ihren Finger und versuchte, sie in den Haarknoten zu stecken. »Um ehrlich zu sein: An Ihrer Entscheidung war auch viel Richtiges; erst recht, wenn McKinley und die anderen sich zu der Tat gegen Ingraham vorgearbeitet haben. Gut möglich, dass das, was Sie sonst noch befürchtet hatten, auf diese Weise verhindert wurde – eine Art Homosexuellenjagd unter dem Motto, sie zu schützen. Ihr Vorgehen, Russ, war viel besser durchdacht als mein Gespräch mit dieser Reporterin, dieser Dingsda –«
    »Sheena.«
    »Guter Gott! Was haben die Eltern sich denn bei diesem Namen gedacht?« Sie hielt einen Moment inne, bevor sie zum Thema zurückkehrte. »Worauf ich hinauswill, ist Folgendes: Sie denken, bevor Sie handeln. Und Ihre Überlegungen sind wohl begründet – ethisch und durch persönliche Erfahrung. Zerbrechen Sie sich also nicht den Kopf darüber, ob Sie unterbewusst genauso wie die üblen Zeitgenossen vom Schlag McKinleys sein könnten.«
    Russ verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schmiegte seine Schultern an die unebene Rücklehne des Sofas. »Wissen Sie, es stimmt. Beichten ist wirklich eine seelische Wohltat.« Sein Magen knurrte.
    »Hunger?«, fragte Clare und verkniff sich ein Grinsen.
    »Bärenhunger sogar . Haben Sie nicht zufällig –« Er wollte um etwas Essbares bitten. Es war kaum zu rechtfertigen, dass er nach Feierabend bei ihr im Büro saß. Er war dienstlich hierher gekommen, und er hatte alles Nötige in Erfahrung gebracht. Es gab keinen Grund, sich zum Abendessen hier einzuladen. Lieber die eigene leere Küche und eine intakte Ehe als ein Drei-Sterne-Menü, auf das die Scheidung folgte. Er hievte sich vom Sofa hoch. »Haben Sie zufällig eine Toilette irgendwo?«
    »Den Gang runter, direkt vor der Tür zum Gemeindesaal.«
    Als er sich die Hände gewaschen hatte, schlenderte er den schmalen Korridor zurück, der vom Pfarrgemeindesaal an Clares Büro, am Sekretariat und an einer Tür vorbeiführte, die die Aufschrift »Kapitelraum« trug. Dann bog er um die Ecke in die Kirche. Diesmal brannte das elektrische Licht. Clare war wieder am Hochaltar, wo sie mit einem über ein Meter langen Kerzenlöscher aus Messing hantierte. Beim Verglimmen stieg von jedem der Wachsstöcke eine Rauchfahne zu den kunstvoll geschnitzten Retabeln auf, die sich in den düsteren Höhen der Altarwand befanden. Der Geruch von Rauch, Bienenwachs und Stein erfüllte die Luft.
    »Kam denn heute Abend niemand zum Gottesdienst?« Russ ging mit festen Schritten auf Clare zu, um sie nicht zu erschrecken.
    »Hm? Nein, es war keine Abendandacht angesetzt. Ich wollte nur die Komplet lesen. Das hätte ich zwar auch im Pfarrhaus tun können, aber mitunter komme ich gern, auch unabhängig von meinem Amt, hierher.«
    Sie hatte die Kerzen allesamt gelöscht und schwang die leicht gebogene Messingstange über ihre Schulter. »Ich stelle zurzeit fest, dass ich mich bemühen muss, dies mehr zu meiner persönlichen Andachtsstätte zu machen, nicht bloß zu meinem Arbeitsplatz.« Sie stieg die Altarstufen hinab und ließ die Stange in den Holzständer an der Wand gleiten. »Manchmal, wenn ich die ganze Gemeinde zur Eucharistie führe, ertappe ich mich bei dem Gedanken, was ich anschließend tun muss – ob ich dem Kreuzträger gesagt habe, dass er vor dem Schlussgesang aufstehen soll, oder ob ich Mrs. So-und-so zur Leitung des Wohltätigkeitsbasars herumkriege. Derlei war bei meiner Priesterweihe nicht eingeplant.«
    »Tja. Dass jemand beim sozialen Teil Ihres Jobs sich leicht verausgaben könnte, hab ich mir ja gedacht. Aber ich nahm wohl an, Priester würden gewissermaßen in eine andere Welt eintreten, wenn sie ihr« – er verkniff sich das Wort »Brimborium« – »Ding durchziehen.«
    Clare wühlte in ihren Hosentaschen und brachte eine klirrende Sammlung von Schlüsseln zum Vorschein. »Ich wünschte, es wäre so! Vielleicht haben Religionen, die mit ekstatischen Ritualen arbeiten, doch etwas für sich.«
    Russ konnte sich unter diesen Ritualen nichts vorstellen – es hörte sich irgendwie sexuell an. Besser, man fragte nicht nach.
    »Was mich betrifft, raubt mir der soziale Teil, wie Sie so schön sagen, keine Energie, sondern er schenkt mir welche. Ich

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