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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Sinn.«
    »Wir sind Freunde über unseren Beruf. Ich weiß, wer er ist und was er ist, aber das hat unser Verhältnis nie beeinflusst. Er redet ja auch nie über Paul, genauso wenig wie ich über meine Frau spreche. Seine Homosexualität war so, als hätte man in der Arbeit einen Freund, der Jude oder Vegetarier ist. Man weiß es, aber man braucht nicht darüber nachzudenken, weil der Beruf sich nie mit diesem anderen Lebensbereich überschneidet.« Er richtete sein Augenmerk auf die eingerahmten Luftkarten, die die Wand neben Clares Schreibtisch bedeckten. »Und dann, urplötzlich, ist es greifbare Realität: Mein Freund schläft mit einem großen bärtigen Kerl. Und treibt sich bei diesem Hotelier und seinem Freund mit dem gebrochenen Handgelenk herum.«
    »Ron Handler hat kein gebrochenes Handgelenk.«
    »Ich meine es ja nur bildlich. Man merkt sofort, dass er schwul ist. Und da wird mir mulmig. Dann habe ich Bill Ingraham kennen gelernt, von dem ich zwar wusste, dass er schwul ist, aber der es sich nie im Geringsten anmerken ließ. Da wurde mir sogar noch mulmiger.«
    »Woher kommt das Ihrer Meinung nach?«
    Ein schwaches Lächeln zuckte um seinen Mund. Clares Tonfall war jetzt der einer Therapeutin. Er warf ihr einen raschen Blick zu. Er wusste nicht, wie sie es schaffte, so zuzuhören, dass dies nicht weniger aktiv als das Reden erschien. Aber dass sie sich derart auf seine Worte konzentrierte, gab ihm das Gefühl, er könne alles aussprechen.
    »Ich bin normal – heterosexuell, jemand, der fünfundzwanzig Jahre bei der Armee gedient hat. Und wie Sie selbst gesagt haben, ist die Army nicht gerade eine Hochburg der Toleranz gegenüber sexueller Andersartigkeit.« Er schnaubte. »Erst recht die Militärpolizei. Gott bewahre, dass man da einen Typen je anders berührt als mit einem Schlag auf den Rücken.«
    »Sie scheinen mir nicht wie jemand, der sich Gruppenzwängen unterwirft.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie gründen Ihre Überzeugungen und Ihre persönlichen Entscheidungen nicht darauf, was Ihre Umwelt denkt.«
    »Nein, nein. Ich sage ja auch nicht, dass die Army mir Vorurteile gegen Schwule eingeimpft hat. Aber ich fühle mich nicht wohl, wenn es mir einer unter die Nase reibt.«
    »Das hat Bill Ingraham nie getan.«
    Russ wippte vor und zurück. »Ich weiß. Genau das gibt mir ja zu denken. Vielleicht habe ich doch Vorurteile. Vielleicht ist Emil Dvorak so etwas wie mein Aushängeschild – mein schwuler Vorzeigefreund, um zu beweisen, was für ein cooler, frei denkender Typ ich bin. Und vielleicht hat diese … Abneigung, dieses Misstrauen, dieser Ekel vor Homosexualität meine Entscheidungen innerlich beeinflusst, als es darum ging, die Presse zu informieren oder die Leute in der Stadt zu warnen.« Er sah auf seine Hände. »Vielleicht waren all diese Überzeugungen – von wegen der Ladeninhaber, dem Outing von Leuten und den Nachahmerdelikten – bloß eine Verschleierung für das, was sich wirklich in mir abspielt.«
    »Russ.« Er blickte zu ihr auf. »Wenn Sie genug Selbstkritik und Selbsterkenntnis haben, um sich solche Fragen zu stellen, dann, glaube ich, beweist das schon, dass Sie nicht aus irgendeiner heimlichen, tief sitzenden Homophobie heraus handeln. Ich kenne Sie auch nur so – als jemanden, der seinen Gedanken und Gefühlen unerschrocken ins Gesicht sieht.« Wieder stieg ihr die Röte in die Wangen, und er fragte sich, ob sie dabei an letzten Heiligabend dachte, wo sie beide in diesem Büro gewesen waren und er sie in die Arme genommen hatte. Er fühlte, wie seine Ohrenspitzen zu glühen begannen. Sie lächelte schwach. »Sie sind eine sehr geschlossene Persönlichkeit. Das, was Sie nach außen zeigen, deckt sich mit Ihrer inneren Struktur – um Psychiaterlatein zu reden.« Sie veschränkte ihre Hände im Schoß. »Ich hielt es für eine Fehlentscheidung, dass Sie die Presse von diesen Überfällen nicht informierten, und ich tue es immer noch.«
    Er setzte zum Sprechen an. Sie hob eine Hand. »Doch trotz dieser Meinungsverschiedenheit bin ich überzeugt – felsenfest überzeugt –, Ihre Beweggründe und Argumente waren genau die, die Sie eben genannt haben, und dass Sie ausschließlich zum Besten aller Betroffenen handeln wollten.« Sie grinste unerwartet. »Hätte ich geglaubt, dass Sie nur Phrasen dreschen, dann hätte ich Sie nämlich vor allen Leuten zur Rede gestellt. Darauf können Sie Gift nehmen.«
    »Pah. Sie kannten meine Einstellung gegenüber Schwulen ja noch gar

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