Die Rueckkehr
ausstreckte, war es nach drei Uhr nachmittags. Es tat ihm noch überall weh – bei diesem Unfall am Super Gee war er ganz schön durchgerüttelt worden, und der Sicherheitsgurt hatte auf seiner Brust und an seinen Schultern Schwielen hinterlassen. Es war ein schönes Gefühl, einfach nur in der Sonne zu stehen und die Luft von Sallytown zu atmen.
Er kannte den Ort ganz gut, er war hier ein Jahr lang Streife gefahren, bevor er als Fahrer für Verfolgungsjagden eingesetzt worden war. Ein verschlafenes Städtchen, das sich an der Hauptstraße entlangzog, mit ungefähr dreitausend Seelen, genau wie Tausende andere Orte in den Südstaaten, und am großen Platz gab es, wie an den meisten Plätzen in den Südstaaten, ein Rathaus aus Ziegeln mit der Fahne der Konföderierten am Fahnenmast davor, Blumenrabatten mit dem Standbild eines Kavalleristen der Rebellen in der Mitte, und überall Virginiaeichen mit langen Fäden aus Louisianamoos in den Zweigen.
Auf der anderen Seite des Platzes stand die episkopale Erlöserkirche, erbaut im Jahr 1856, nach Blitzschlag und Feuer im Jahr 1923 wiederaufgebaut. Ein weißes Gebäude aus Holz mit einer nadelscharfen, silber gestrichenen Kirchturmspitze. Die Kirchturmspitze war meilenweit zu sehen, erhob sich über die Baumwipfel und glitzerte wie ein Speer.
Von einer Gedenktafel am Rathaus erfuhr man, dass es im Jahr 1836 errichtet worden war und im Bürgerkrieg im Jahr 1864 drei Monate lang als Hauptquartier für Robert E. Lee und seinen Stab gedient hatte. Mildes Herbstlicht lag auf dem Platz, den Gebäuden und den Menschen, die die Hauptstraße mit ihren Geschäften bevölkerten.
Die Autos waren vor allem Pick-up-Trucks und Rostlauben aus Detroit. An Stoßstangen der Pick-ups klebten Aufkleber mit Sprüchen wie DIESER TRUCK IST VERSICHERT – VON SMITH AND WESSON oder ARBEITSLOS? HUNGRIG? FRISS DEINEN IMPORTWAGEN!
Reed, selbst ein Mann des Südens, hatte mit der Konföderiertenfahne auch kein Problem. Ein Haufen schweinsäugiger Redneck-Vollidioten mochte sie damals in den Sechzigern geschändet haben – und dies bis heute tun –, aber für ihn würde die Fahne der Konföderation immer für Chickamauga, Shiloh, Manassas und Vicksburg stehen und für die Tausenden aus Wäldern stammenden naiven Jungen, die dort gefallen waren.
Nicht dass er versuchen würde, das jemandem nördlich des Ohio River zu erklären.
Er streckte sich noch einmal, massierte sich die Verspannung aus dem Nacken und ging über den Platz zum Rathaus, wo das Stadtarchiv untergebracht war, im ersten Stock mit Blick nach hinten auf den Parkplatz. Er trug Zivil, Jeans und Cowboystiefel, ein weißes T-Shirt und ein dunkelblaues Sakko, hatte aber in einem Holster an der Hüfte seine Dienst-Beretta und in der Jackentasche seine Marke dabei. Er war ohne dienstlichen Auftrag hier, aber das musste niemand wissen.
Als er die Treppe zu den großen Türen aus geschnitztem Holz hinaufstieg, fiel ihm Nicks Anruf von vor ein paar Stunden wieder ein und die Geschichte vom Raub der Leichen der Gebrüder Shagreen vom gesicherten Parkplatz der Zentrale der State Police. Er war tief verblüfft, dass die Gebrüder Shagreen Freunde hatten, denen sie wichtig genug waren, dass man ihre Leichen stahl – mehr fiel ihm dazu nicht ein. Nick war der Ansicht gewesen, diese Freunde könnten auch auf der Suche nach Reed Walker sein.
Reeds Haltung dazu war klar: Er hoffte, dass es stimmte, weil er sie wirklich gerne erschießen würde.
Freitags war das Archiv bis fünf geöffnet. Als er in den düsteren Raum voller Schatten mit den hohen Schiebefenstern trat, an dessen Decke sich langsam ein Ventilator drehte, wurde er von der schlanken Gestalt Miss Beryl Eatons begrüßt, die nun schon seit einer Stunde auf ihn wartete.
Miss Beryl war um die siebzig, wenn nicht älter, aber noch immer eine Schönheit mit weicher blasser Haut und lebendigen blauen Augen. Ihr langes weißes Haar hatte sie zu einem Spiralbogen hochgekämmt und mit einer silbernen Spange festgesteckt. Sie war seit den Fünfzigerjahren die Archivarin von Sallytown, inzwischen verwitwet und eine Art lebendes Denkmal.
»Reed, das ist aber nett. Du siehst gut aus.«
»Es geht mir auch gut, danke, Miss Beryl. Sie sind wunderschön, wie immer.«
»Und du bist ein charmanter Lügner, wie immer.«
Sie fragte nach der Familie und wollte alles ganz genau wissen. Sie sagte, wie leid ihr Dillons Verschwinden tue, und fragte ihn, ob es bei der Untersuchung der Umstände seines
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