Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman
Unvollkommenheit
eines vollkommenen Menschen.
Sie ist nicht von dieser Welt
diese Welt ist von ihr
Liebe wohnt nicht in der Welt
die Welt wohnt in Liebe
Liebe wohnt in ihr und das Blut
reiner als die ungesehene Luft
reiner als das unsichtbare Wasser.
Nur das Ungesehene berührt das Unsichtbare.
Was nicht gesehen wird
hält alles zusammen.
In der geringsten Stärke
ruhen die stärksten Kräfte.
Schoß der Jungfrau.
Nachdem ich das Manuskript mehrmals gelesen hatte, verstand ich immer weniger davon, aber alles schien sich auf Maria zu beziehen. Wenn ich Passagen wie
Schönheit ist jenseits von Materie
und
denn nichts in der Materie ist gleichmäßig
wortwörtlich nahm, schien das Marias Spiegeltrick zu erklären. Und die Passage im siebten Traum
Geboren von Fleisch ist eine Jungfrau
Mutter ist nicht Mutter
doch ist keine andere Mutter
Vater ist nicht Vater
doch ist kein anderer Vater
schien mir gut zu der seltsamen Geschichte zu passen, die Maria mir im Café über ihre zeugungsunfähigen Eltern erzählt hatte. Und das Ende desselben Traums
nichts wird ihre Schönheit verhüllen
obgleich sie sich jedem Auge entzieht
Worte werden den Himmel füllen
und viele Bücher verbleichen
berührst du die Gesegnete mit der Hand
spürst du dein eigenes Leid
berühre mit dem Herzen
passte dazu, dass Marias Kleidung durchsichtig wurde, ihr Personalausweis leer war, sie womöglich vom Studium ausgeschlossen wurde und dass es unmöglich war, sie wie eine Frau zu berühren.
Berührst du die Gesegnete mit der Hand, spürst du dein eigenes Leid
entsprach der Tatsache, dass alle Männer, die sie auf dem Marktplatz begrapscht hatten, zurückgewichen waren und Maria die Berührungen nicht gestört hatten. War es die Einstellung hinter der Berührung, die eine Rolle spielte? Hatte ich sie mit der falschen Einstellung berührt? Wie berührte man mit dem Herzen? Und was bedeutete
obgleich sie sich jedem Auge entzieht
? Waren damit die Bilder in ihrem Fotoalbum gemeint? All diese Fragen beunruhigten mich. Wer konnte entscheiden, was richtig und was falsch war? Wahrscheinlich niemand. Aber ging es denn dann nicht nur um die alte Frage, ob man glaubte oder nicht? Was hatte diese uralte Frage mit mir zu tun? Ich würde Maria nicht wiedersehen. Und selbst wenn – was vermochte ich ihr denn schon zu geben, wenn ich sie noch nicht einmal berühren konnte? Ich wäre niemals in der Lage, ihr das zu bieten, was der Mann mit dem Schatten, wer auch immer er war, ihr geben konnte. Und wiewürde ich mich in ihrer Nähe fühlen? Ich dachte viel darüber nach, vor allem über die Grenzen sexueller Erfüllung. Wo lagen diese Grenzen, und wie viel Lust konnte der Körper empfinden? Während ich darüber nachgrübelte, hatte ich die Idee zu einem Gerät, das Liebenden helfen konnte, ihre Erfüllung zu verstärken – weit über das hinaus, was man als normale Befriedigung ansah. Das Gerät war simpel, und ich brauchte nur einen Tag, um es zu bauen, doch als ich es begutachtete, kam ich mir ziemlich albern vor. Was wollte ich mit diesem
Sexhilfsmittel der Unendlichkeit
, wie ich es nannte, alleine anfangen? Ich verlor fürs Erste das Interesse an dem Gerät und wandte mich wieder der Lektüre der
Rückkehr der Jungfrau Maria
zu. Nachdem ich das Buch zu Ende gelesen hatte, hielt ich es mal für bodenlosen Aberglauben und mal für die perfekte Beschreibung von Maria. Wieder wurde mir klar, dass es sich lediglich um eine Frage des Glaubens handelte. Ich fühlte mich wie ein Kind in einem belanglosen Dilemma und merkte, dass sich meine Gedanken im Kreis drehten. Ich würde der Sache nie auf den Grund kommen. Ich hatte fünf Tage und Nächte damit verbracht, das Manuskript zu lesen und das
Sexhilfsmittel der Unendlichkeit
zu bauen, und stellte fest, dass ich vor der Realität und meinen eigenen Problemen flüchtete. Da ich völlig vergessen hatte, die Nachrichten anzuschauen und mitzuverfolgen, wie die Suche nach Salomes Mörder vorankam, schaltete ich den Fernseher ein. In den Nachrichten gab es einen Beitrag über Kriminalität in der Stadt, in dem am Rande erwähnt wurde, dass der Mörder von Salome, dem dreizehnjährigen Mädchen, das vor ungefähr einer Woche erstochen im Park aufgefunden worden war, immer noch von der Polizei gesucht werde. Ich hatte keine Lust, den Fernseher wieder auszuschalten, und verfolgte den Rest der Nachrichten mit halbem Ohr. Als ich mich gerade reckte, um auszuschalten, machten mich die
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