Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman
Reinkarnation der Jungfrau Maria. Es gibt triftige Argumente dafür, dass sie unser Bildungssystem ausgenutzt hat, mit Unterstützung einer Reihe von Dozenten, die jetzt in ihrem Namen eine religiöse Sekte gegründet haben, um ihr Vergehen zu kaschieren. Dieser ketzerischen Sekte wird jegliche Grundlage entzogen werden, wenn sich herausstellt, dass diese Frau, die davon besessen ist, ihre Nacktheit öffentlich zur Schau zu stellen, mit einem Mann verkehrt hat. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich niemand meldet, der mit ihr geschlafen hat, wird man auf andere Art und Weise herausfinden müssen, ob sie noch Jungfrau ist. Ich fürchte, dass dabei diverse unschöne Dinge ans Licht kommen werden und dass so mancher angesehene Doktor von seinem hohen Ross stürzen wird.«
Die Reporterin erschien wieder auf dem Bildschirm.
»Mit diesem Kommentar verweist Bischof Jean Sebastian wahrscheinlich vor allem auf Dr. Peter, der Marias Promotion an der Christus-Universität maßgeblich begleitet hat. Dr. Peter hat sich inzwischen beurlauben lassen und leitet die kürzlich gegründete Glaubensgemeinschaft, die sich
Kinder Marias
nennt. Hören wir nun Dr. Peters Reaktion auf Bischof Jean Sebastians Äußerungen.«
»Meiner Ansicht nach ist es einem Bischof unwürdig, öffentlich nach angeblichen Liebhabern einer Frau zu fahnden, die für ihre Keuschheit und völlige Hingabe an spirituelle Ziele bekannt ist. Diese Vorgehensweise zeigt nur die Verzweiflung des Bischofs darüber, dass er unrecht hat, zumal die Gefängnisärzte nichts über Marias körperlichen Zustand aussagen konnten, weil es ihnen schlicht und ergreifend nicht möglich war, sie zu berühren.«
»Daraus wird deutlich«, schlussfolgerte die Reporterin, »dass die außergewöhnlich schöne Maria, die so viele Menschen mit ihren Geschichten bezaubert hat, über die am meisten diskutierte Jungfräulichkeit in letzter Zeit verfügt – oder eben auch nicht. Maria selbst verweigert die Beantwortung von Fragen dieser Art und sagt ohnehin so gut wie nichts, es sei denn, sie erzählt Geschichten, woran sie offenbar niemand hindern kann. Hören wir nun eine weitere.«
Wieder erschien Maria auf dem Bildschirm und erzählte eine Geschichte, während die Wachmänner verschämt um sie herumstanden, unfähig, sie anzufassen. Es folgten weitere Interviews mit Bischof Sebastian und Dr. Peter sowie Aufnahmen des provisorischen Stützpunkts der Glaubensgemeinschaft
Kinder Marias
. Die Reporterin betonte, dass im Grunde niemand wisse, wer Maria sei, da sie keine Papiere habe und nicht im Volksregister stehe. Die Sendung endete mit der offenen Frage »Wer ist dieseFrau?« und einer Aufnahme von Maria beim Erzählen einer Geschichte. Sie wirkte sehr selbstsicher, doch als ich ihren Gesichtsausdruck genauer studierte, meinte ich, einen gewissen Schmerz darin wahrzunehmen. Am Ende spähte sie in alle Richtungen, so als suche sie nach einer Lücke in der Menschenmenge, obwohl sie sich kaum rühren konnte. Sie schaute in die Kamera und sagte mit flehender Stimme:
»Bitte lassen Sie mich durch!«
Ich musste an den Vorfall auf dem Bahnhof denken, als wir uns zum ersten Mal begegnet waren und im Gedränge feststeckten. Damals hatte ich die Leute gebeten, uns durchzulassen. Bezog sie sich darauf? Wollte sie mir etwas sagen? Sie musste wissen, dass ich gesucht wurde und unter Mordverdacht stand. Nein, es war ausgeschlossen, dass sie an mich dachte. Ich würde sie nie wiedersehen. Selbst wenn sie irgendwann freigelassen würde und ich Kontakt mit ihr aufnehmen könnte, war es unwahrscheinlich, dass sie noch etwas mit mir zu tun haben wollte, nachdem ich sie verraten hatte. Warum hatte ich das getan? Vielleicht, um ihr zu zeigen, dass sie keine Macht über mich hatte und nicht mit mir spielen konnte. Das sollte inzwischen klar sein, und deswegen wollte ich alles daransetzen, sie freizubekommen. Doch wie konnte ich das in meiner jetzigen Situation tun? Vielleicht, indem ich die Leute, die sich für ihre Freilassung einsetzten, unterstützte.
Ich suchte die Nummer der
Kinder Marias
heraus, wählte und wurde mit Dr. Peter verbunden. Er wusste, wer ich war, erinnerte sich an mich, als ich noch ein kleiner Junge war und meinen Großvater an der Christus-Universität besucht hatte. Es überraschte ihn, dass ich Maria kannte, und ich war mir nicht sicher, ob er mir wirklich glaubte, dass wir als Straßenkünstler zusammengearbeitet hatten. Er druckste herum, als ich ihm von
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