Die Rückkehr der Königin - Roman
Wasserkrug und dem Latrinenloch, war die Zelle leer, die Wände kahl, die Decke niedrig und finster. Es war nicht stockdunkel – von einer Fackel draußen auf dem Gang drang schwacher Lichtschein durch das Gitterfenster und so konnte Anghara ihre Umgebung mustern. Ihr Mund kräuselte sich zu einem bitteren Lächeln.
»Aber die Götter geben immer das, worum man sie gebeten hat«, flüsterte sie leise und erinnerte sich an ihre Wünsche auf der Reise – einen dunklen Ort zum Schlafen, wo man sie in Ruhe ließ. All das war ihr gewährt worden. »Wie lang, frage ich mich? Wie lang, ehe du mich ganz vergisst, Sif ... oder bis du ein loyales Schwert schickst, um alles zu beenden?«
Es war nicht richtig. Sie wäre niemals so vorgegangen. Die Drogen ... der Kerker ... es war nicht richtig. Es besudelte den Namen Kir Hama, die stolze Linie des uralten königlichen Blutes.
Plötzlich drang Kierans Stimme zu ihr, aus früheren Jahren – von dem Tag am Ufer eines Baches in Cascin, wo er zum ersten Mal erfahren hatte, wer sie war. Sif ist dein Bruder ...
Und dann die ihrer Mutter, aus noch früherer Zeit, aus dem Nebel der Erinnerungen, die im Kopf eines Kindes hängen geblieben waren, das vielleicht drei oder vier Jahr alt war: Er sieht aus wie du , hatte Rima gesagt, als sie am Fenster gestanden und den jungen Sif unten im Hof betrachtet hatte. Hinter ihr lächelte schemenhaft die Gestalt ihres Gemahls. Er hatte es vorgezogen, die Bitterkeit in Rimas Stimme stets zu überhören, jedes Mal wenn sie über seinen Sohn sprachen.
Ihr Bruder. Der Sohn ihres eigenen Vaters.
All das spielte keine Rolle. Er war König in einem Land, das er der Hand eines kleinen Mädchens entrissen hatte. Dass sie für die Krone geboren worden war, dass sie diese vor ihm getragen hatte, war alles ohne Bedeutung. Dynan war tot, und Sif war König. Auf dem Thron unter dem Berge war nur Platz für einen Monarchen, der über Roisinan herrschte. Und es war sein Land ebenso wie ihres.
Mit dem, was ai’Jihaar ihr in den letzten Jahren beigebracht hatte, hätte Anghara die Kerkertür mühelos aufzaubern können – wenn sie nur die Kraft anzapfen könnte, ohne dass es dabei ihren Verstand mit vergifteten Klauen zerriss. Vielleicht war es die Droge, dachte sie hoffnungsvoll. Jetzt, da sie sie sicher verwahrt hatten, würden sie vielleicht das tamman vergessen und ihr eine Chance geben, sich zu erholen. Vielleicht. Sie konnte nur warten – worauf wusste sie nicht genau, nur, dass sie warten musste.
Aber man hatte sie noch nicht ganz vergessen, denn sie wurde aus einem leichten Schlummer durch das Rasseln einer kleinen Falltür gerissen, die sie zuvor nicht entdeckt hatte. Sie öffnete sich im Boden in der Nähe der Zellentür und war gerade groß genug, um einen verbeulten Zinnteller hindurchzulassen.
»Abendessen«, erklärte eine mürrische Stimme. »Und wenn du frisches Wasser willst, reich den Krug mit dem Teller heraus, wenn du fertig bist.«
Anghara war von ihrem Lager aufgesprungen – aber ihr wurde immer noch schwindlig, wenn sie sich zu schnell bewegte. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis sie einigermaßen ihr Gleichgewicht wiederfand, und doch war die Chance schon vorüber. Sie stand auf Zehenspitzen neben der Tür und versuchte auf den Gang hinauszulugen.
»Warte!«, rief sie. »Komm zurück!« Doch Schweigen war die einzige Antwort.
Entmutigt sank sie neben dem Teller mit dem Essen auf die Knie. Es sah fettig und erstarrt aus – und was noch schlimmer war: Es war kalt. Aber sie war halb verhungert. Ihr Verstand wehrte sich, aber ihr Magen nahm es an – es war Essen, und nach dem ersten Moment, in dem sie den ekligen Brei schmeckte, spielte es keine Rolle mehr, was ihr Verstand von diesem Mahl hielt. Sie aß alles auf und schlug mit dem leeren Teller an die Tür, in der Hoffnung, den Wärter zurückzulocken. Niemand kam. Anghara schob den leeren Teller und den Wasserkrug gegen die kleine Falltür und stellte sich erwartungsvoll neben die Tür. Sie war wild entschlossen, sich nicht wieder im Schlaf überraschen zu lassen.
Als sie erwachte, fror sie und war steif aufgrund der Haltung, in der sie auf dem Steinboden am Fuß der Zellentür zusammengesunken war. Die Kopfschmerzen waren zurück und auch die Übelkeit. Offenbar hatten sie tamman ins Essen getan. Der Teller war verschwunden, und der Krug stand mit Wasser gefüllt neben der Falltür. Anghara war wieder allein.
Sie werden mich nie wieder mit jemandem sprechen lassen ,
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