Die Rückkehr der Königin - Roman
die man aber nicht berühren konnte. Er war auf dem Rückweg von Keruns Tempel an Chanoch, dem Fest des Neuen Feuers, in den Kerker gegangen. Vielleicht hätte er sich dazu durchgerungen, sie zu töten, wäre er früher gegangen, als die alten Feuer gelöscht wurden und alles im Schatten des Todes stand. Doch jetzt spürte er eine abergläubische Furcht, es nach den neuen Feuern zu tun, denen der Auferstehung, die gerade erst vom Tempel gebracht worden waren.
Beim Wintergericht, dachte er. Beim Wintergericht werde ich etwas tun. Aber in diesem Jahr erwies sich das Gericht als besonders widerspenstig, und Favrin Rashin wählte den Winter, um eine neue Offensive im Süden zu beginnen. Sif war zu abgelenkt und zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um darüber nachzudenken. Der Gedanke an Anghara war irgendwie wieder verdrängt worden.
Spät nachts vor dem lodernden Feuer und mit einer Wache vor der Tür, um ungebetene Lauscher fernzuhalten, besprach Sif das Thema mit dem einzigen Mann in seinem Gefolge, der alles wusste – mit Fodrun, dem General, der ihm Miranei verschafft hatte.
»Ich habe dir Macht verliehen«, erklärte Sif am Ende des Winters eines Abends kurz und knapp. Er saß in seinem königlichen Gewand aus grauem Wolfspelz am Kamin und streckte die langen Beine in Richtung Feuer aus. »Würdest du den Befehl geben, sie zu töten?«
Fodrun holte tief Luft und wartete auf die Kraft, sich diesem Mann, den er zum König erhoben hatte, zu widersetzen. Doch Sifs Augen galten nicht mehr dem Feuer, sondern ruhten auf seinem Kanzler. In ihnen glitzerte eine Art wilde Freude. »Nein, keine Angst, alter Freund. Wenn, dann tue ich das selbst. Ansonsten geschieht gar nichts. Aber ... in Bresse war ich bereit, es zu Ende zu bringen, so bereit, dass die gesamte Gemeinschaft an ihrer Stelle gestorben ist. Und jetzt, da ich sie in der Hand habe, zögere ich von Tag zu Tag und warte.«
»Mylord ...«, begann Fodrun vorsichtig. Sif gebot ihm mit der Hand zu schweigen.
»Ich weiß das alles«, erklärte er. »Jedes Argument, und alles sagt mir, dass ich ein Narr bin. Es steht nicht zu befürchten, dass sie je befreit wird; eines Tages wird sie in diesem Kerker sterben, aber auch das wird ein Tod von meiner Hand sein. Doch zumindest habe ich nicht ihr Blut daran. Und dennoch ...«
»Euer eigener Vater hatte Gefangene, die im Kerker gestorben sind«, bemerkte Fodrun zutreffend. »Und Euer Urgroßvater ...«
»König Garen, seine Erinnerung sei gesegnet, hatte mehr Verräter als Kerker, selbst wenn Miranei noch einen weiteren Turm gehabt hätte«, sagte Sif. »Und mein Vater – es gab nur wenige Verräter meines Vaters. Es gab wohl mehr, als ich damals gewusst habe, als ich mit Duldung des Königs am Hof lebte, ein unehelicher Bastard, der keinen Zugang hatte zu den Geheimnissen der Gemächer des Rates. Ich kann mich nur an vier Männer erinnern, deren Verbrechen schrecklich genug waren, um sie lebendig zum Tode zu verurteilen.«
»Und keine Frauen«, meinte Fodrun ohne nachzudenken.
Sif warf ihm einen zornigen Blick zu. »Kann ich etwas dafür, dass meine Nemesis ein Weib ist?«, fragte er.
»Sif«, sagte Fodrun und schlug jegliche Vorsicht und Ehrfurcht vor dem Königtum in den Wind. »Mylord, wenn Ihr meinen Rat sucht, lautet dieser schlicht und einfach: Vergiftet nicht Euer Leben und den Rest Eurer Herrschaft, indem Ihr die Tochter Eures Vaters für immer stehen lasst zwischen Euch und dem, was Ihr habt. Beendet es. Irgendwie. Und dann lasst es zurück und schreitet voran.«
»Wäre ich in Miranei gewesen, als man sie herbrachte, so hätte ich wohl nicht gezögert«, meinte Sif nachdenklich. »Aber je mehr ich mich Miranei näherte, nachdem mich in Shaymir die Nachricht von ihrer Festnahme erreicht hatte, desto unklarer wurden die Dinge für mich. Zum Beispiel – wo ist Dynans Siegel?«
»Wisst Ihr genau, dass sie es hat?«
»Wir haben die Festung von oben bis unten durchsucht«, antwortete Sif. »Es war nicht bei meinem Vater, als wir ihn beerdigt haben, und ich kann beschwören, dass es nicht in seiner Festung war, und als Anghara gefangen genommen wurde, trug sie es nicht bei sich.«
»Woher wussten die Männer eigentlich, dass es Anghara war?«, fragte Fodrun neugierig. »Für die Leute aus Miranei war es doch gewiss schwierig, sie zu erkennen – das letzte Mal, als sie hier gesehen wurde, war sie nur neun Jahre alt ... und jetzt ist sie was ... sechzehn?«
»Siebzehn«, antwortete Sif knapp. Ein Bild
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