Die Rückkehr der Königin - Roman
sein Besitzer, der junge Mann mit den gelben Augen aus Kharg’in’dun’an hatte gesagt, dass nichts, was sie danach reiten würde, seinem edlen Tier gleichen könnte. Sie ging in die Richtung, in der laut Auskunft des Wirts ein Mietstall stand und wo man immerhin ganz gewöhnliche Pferde kaufen konnte.
Die dunklen Vorahnungen hatte sie hinter sich im Zimmer gelassen, aber dennoch vermochte sie an diesem hellen frischen Morgen das Prickeln zwischen ihren Schulterblättern nicht abzuschütteln. Etliche Male bog sie scharf ab, sah jedoch nie jemanden, der sie verfolgte. Sie hasste sich, weil sie so misstrauisch war.
Was, wenn jemand sie erkannte?
Dummkopf , schalt sie sich, nachdem sie schon wieder zurückgeschaut hatte. Die Jahre in Kheldrin und zuvor die Jahre in Bresse ... Wer sollte sie nach so langer Zeit erkennen?
Doch das ungute Gefühl blieb. Vielleicht war sie deshalb viel zu erpicht darauf, den Pferdehandel abzuschließen – und diesen Ort voll unsichtbarer Augen zu verlassen. Der Stallbesitzer spürte, dass sie es eilig hatte, und erzielte weit mehr, als wenn Anghara sich ganz auf das Feilschen konzentriert hätte. Schließlich verließ sie den Stall mit einer ruhigen braunen Stute. Diese hatte aber am Vortag ein Eisen verloren. Man einigte sich, dass die Stute nach dem Beschlagen beim Schmied zu Angharas Herberge geliefert würde.
Draußen verdichtete sich das unerklärliche Gefühl der Bedrohung. Zitternd stand Anghara einen Moment lang an der Tür des Stalls und suchte die Straße mit bangen Augen ab. Immer noch nichts, immer noch niemand.
»Sobald ich die Stute habe, kann ich weiterreiten«, murmelte sie vor sich hin, hauptsächlich, um sich durch den Klang ihrer Stimme zu beruhigen. »Inzwischen ... ist es wohl am besten, wenn ich zur Herberge zurückgehe ... und warte.«
Sie trat über die Schwelle auf die Straße und war mit wenigen schnellen Schritten um die Ecke gebogen. Doch die Furcht in ihr bremste sie. Sie musste unbedingt ihre Angst überwinden, sonst würde sie sich verdächtig machen. Immer wieder drehte sie sich um wie ein entlaufener Dieb, der Angst hatte, erwischt zu werden. »Da ist niemand!«, erklärte sie sich entschieden. »Niemand!«
Nicht hinter ihr, aber vor ihr. Als sie die Lider hob, erkannte sie den jungen Burschen, der auf der anderen Straßenseite stehen geblieben war und sie anschaute. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie ihn erkannte.
Adamo! Oder war es Charo ... Sie hatte die Zwillinge nie auf den ersten Blick unterscheiden können.
Als sie mit großen Augen die Hand zum Gruß heben wollte, war es schon zu spät. Ein leiser Schritt hinter ihr war die einzige Warnung. Gerade als sie sich umdrehen wollte, legte sich eine Hand um ihre Mitte und zerrte sie in einen Bogengang, der auf die Straße führte. Eine andere Hand presste ihr einen Lappen, der mit beißender Flüssigkeit getränkt war, über Nase und Mund. Alles ging so schnell – sie hatte keine Chance, die Kräfte zu mobilisieren, die sie hätten retten können. Ehe sie das Bewusstsein verlor, spürte sie noch, wie jemand ihr unsanft die Nase zuhielt und ihr eine bittere Flüssigkeit zwischen die Lippen schüttete. Krampfhaft schluckte sie und rang nach Luft, ehe sie sich wehren konnte. Die Droge – es musste eine Art Droge sein – war stark und wirkte beinahe sofort. Wie langsames flüssiges Feuer lief sie in ihren Blutkreislauf.
Irgendwo tief in ihrem Inneren lachte etwas hysterisch. Hama dan ar’i’id sang leise eine Stimme. In der Wüste bist du nie allein. Und mit diesem geflügelten Wort im Kopf war sie durch die Straßen Calabras gegangen. Aber sie war nicht mehr in der Wüste, und deshalb musste sie jetzt für ihren Leichtsinn bezahlen. Sie glaubte, mit sterbender Stimme ein paar Silben zu formen – Adamo ... Charo ... helft mir! Doch der Hilferuf blieb in ihrem Kopf. Sie wurde schlaff und brach in den Armen ihres Entführers zusammen, als sie ohnmächtig wurde.
Sie hatten leise und professionell gearbeitet und keinerlei Aufmerksamkeit auf sich gezogen – fast hatte es so ausgesehen, als sei Anghara selbst in den Bogengang getreten. Aber sie waren zu sechst; Adamo hatte sie alle gesehen, und er war allein. Ein Versuch, sie zu befreien, wäre töricht gewesen, besonders hier auf den Straßen von Sifs Hafenstadt, wo die Soldaten unter den Umhängen Sifs Farben trugen. Aber es war eindeutig Anghara. Die unbarmherzige Suche nach seiner Ziehschwester war der Kern, um den sich Kierans
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