Die Rückkehr der Templerin
blutleeren Strich. Mit einem wütend-herausfordernden Blick wandte er sich an den neben ihm sitzenden Odo, erntete aber nur ein spöttisches Lächeln. »Ja, da mögt Ihr wohl Recht haben, Horace«, antwortete er daraufhin mit geheuchelter Höflichkeit, »und doch frage ich mich, ob das wirklich eine Aufgabe für einen Mann wie Abbé ist.«
»Zweifelt Ihr an Abbés Mut, Bruder?«, erkundigte sich Horace.
»Nein«, antwortete Ridefort. »Jeder hier weiß, dass Bruder Abbé einer der Tapfersten von uns ist. Doch er ist kein junger Mann mehr, und ich frage mich, ob sein unbestritten scharfer Verstand für uns hier in Safet nicht von weit größerem Nutzen ist, als sein Schwert im Kampf gegen ein paar Wegelagerer.«
»Warum stellt Ihr ihm diese Frage nicht selbst, sobald er zurück ist?«, fragte Horace kühl.
Ridefort wollte auffahren, aber Odo brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen. Statt sich an einen der beiden Kampfhähne zu wenden, suchte sein Blick den Robins.
»Du kennst Bruder Abbé von uns allen vielleicht am besten, Robin«, sagte er. »Immerhin hast du mehr Zeit mit ihm verbracht als irgendein anderer hier im Raum. Glaubst du auch, er wäre zu alt, um es mit einer Räuberbande aufzunehmen?«
»Es ist … lange her, dass ich Bruder Abbé das letzte Mal gesehen habe«, erwiderte Robin ausweichend. Sie versuchte, in Odos Augen zu lesen, um herauszufinden, was er von ihr erwartete - ob er einfach nur neugierig war oder von ihr erwartete, Partei für Horace auf der einen oder Ridefort auf der anderen Seite zu ergreifen. Schließlich spürte sie selbst, dass ihr Schweigen zu lange wahrte, und fuhr mit einem unschlüssig wirkenden Achselzucken fort. »Ich war fast noch ein Kind, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Damals hat er mich beeindruckt.«
»Damals?«, hakte Ridefort nach.
»Ebenso wie später«, sagte Robin. Sie wich dem Blick des Marschalls aus und sah stattdessen dem Großmeister fest in die Augen. »Ich habe fast alles, was ich weiß, von Bruder Abbé gelernt. Er mag ein alter Mann sein im Vergleich mit Euch, aber er schwingt das Schwert besser als so mancher halb so alte Mann, den ich getroffen habe. Als die Piraten die Sankt Christophorus angegriffen haben, ist mehr als einer von ihnen unter seiner Klinge gefallen.«
Ridefort funkelte sie eindeutig feindselig an, doch bei Odo - und zu ihrer Überraschung auch Horace - war es ihr unmöglich zu entscheiden, ob sie ihre Worte billigten oder vielleicht eher das Gegenteil zu hören erwartet hatten. Schließlich hob sie abermals die Schultern und schloss: »Das ist alles, was ich Euch sagen kann.«
»Und du, Bruder?«, fragte Odo.
»Ich?«, murmelte Robin verstört. »Was … meint Ihr?«
Odo lächelte dünn. »Nun, immerhin warst du fast zwei Jahre lang des Sheik Sinans Gast. Man erzählt sich ja wahre Wunderdinge von seinen Assassinen.«
»Es heißt, sie könnten sich selbst im hellen Sonnenlicht lautlos und unsichtbar wie die Schatten bewegen«, pflichtete ihm Ridefort mit einem Nicken bei. Auch er sah Robin an, doch wo der Blick des Großmeisters einfach nur neugierig war, meinte Robin in seinen Augen etwas Lauerndes zu bemerken, als warte er nur darauf, dass sie die falsche Antwort gab.
»Davon weiß ich nichts«, sagte sie ausweichend. »Wie Ihr selbst gesagt habt, Bruder - ihre herausragendste Eigenschaft ist es wohl, sich unsichtbar zu machen. Ich habe jedenfalls nur sehr wenige von ihnen zu Gesicht bekommen.«
Ridefort japste hörbar nach Luft, und sie bemerkte aus den Augenwinkeln, wie auch Horaces Gesicht jede Farbe verlor. Erst da wurde ihr klar, welche Antwort sie dem zweitwichtigsten Mann des Templerordens gerade gegeben hatte. Sie erschrak so tief, dass ihre Hände zu zittern begannen. Für einen einzelnen, aber schier endlosen Moment schien die Zeit anzuhalten … und dann begann Odo schallend zu lachen.
Horace sah für einen Moment regelrecht konsterniert aus, und auch überall am Tisch hoben sich Köpfe, blickten Gesichter fragend in ihre Richtung, erschien ein bestürzter Ausdruck auf dem einen oder anderen Antlitz oder auch ein unverhohlen missbilligendes Stirnrunzeln. Nichts von alledem schien Odo zu irritieren. Er lachte nur noch lauter, warf schließlich den Kopf in den Nacken und schlug dem neben ihm sitzenden Marschall die flache Hand zwischen die Schultern. Ridefort sah für einen Moment aus, als hätte ihn nicht nur im wortwörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne der Schlag
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