Die Rückkehr der Templerin
als flüsterte sie ein lautloses Gebet. Sie wusste nicht, ob sie damit Odos Wohlgefallen errang, wohl aber, dass nicht einmal der Großmeister des Templerordens es wagen würde, einen seiner Brüder zu unterbrechen, während er in stummem Zwiegespräch mit Gott versunken war.
»Lasset uns beten«, sagte Horace. Robin faltete die Hände über der Tischplatte und senkte das Haupt noch ein wenig weiter, und auch die anderen Ritter taten es ihr nach. Für eine geraume Weile war nichts anderes zu hören als das gedämpfte Murmeln aus dreißig Kehlen, die die vorgeschriebenen sechzig Vaterunser - dreimal zehn für die lebenden Ordensbrüder und noch einmal so viele für die toten - aufsagten, und kaum war das letzte Wort verklungen, da gingen die Türen auf, und Bedienstete in einfachen braunen Kutten begannen das Essen aufzutragen. Robins Eingeweide revoltierten noch heftiger, und sie spürte, wie sich saurer Speichel unter ihrer Zunge zu sammeln begann. Sie schluckte ihn herunter, machte es damit aber nur noch schlimmer. Und als wäre das allein noch nicht genug, knurrte ihr Magen nun so laut, dass nicht nur Horace ihr einen missbilligenden Blick zuwarf, sondern auch Odo selbst den Kopf wandte und sie stirnrunzelnd und eindeutig länger musterte, als ihr lieb war. Robin versuchte beharrlich, weiter so zu tun, als bemerke sie seine Blicke nicht, aber sie spürte auch selbst, von wie wenig Erfolg dieser Versuch gekrönt war.
»Wer ist dieser junge Ritter neben Euch, Bruder Horace?«, fragte Odo.
Horace fuhr leicht zusammen und gab sich keinerlei Mühe, den missbilligenden Ausdruck von seinem Gesicht zu verbannen, der ganz offensichtlich der Tatsache galt, dass niemand anderes als der Großmeister selbst das noch immer geltende Schweigegelübde brach. Er antwortete trotzdem. »Bruder Robin, Odo. Er und Bruder Rother …«, er machte eine Handbewegung zum anderen Ende der Tafel, wo Rother Platz genommen hatte und sich ganz offensichtlich kaum noch beherrschen konnte, nicht nach einem der Tabletts mit dampfend heißen Speisen zu greifen, die die Bediensteten vorübertrugen, »gehören zu Bruder Dariusz. Sie wurden vorausgeschickt, um frische Pferde für ihn und die Seinen zu holen.«
»Ah ja, Dariusz«, antwortete Odo mit einer Betonung, die so sonderbar war, dass sich Robin beherrschen musste, ihn nicht überrascht anzusehen. »Ich habe davon gehört. Er ist in einen Hinterhalt geraten.« Er runzelte die Stirn. »Bruder Robin? Der Bruder Robin, der im Gefolge Bruder Abbés gereist ist?«
Etwas an seinem Tonfall ließ Robin einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Sie gab das Versteckspiel auf und sah Odo nun - wenn auch scheu - ins Gesicht. Der Großmeister musterte sie interessiert, aber kalt. Wusste er etwas?
Horace bejahte seine Frage. »Sind Gottes Wege nicht manchmal wundersam, Bruder? Nach dem Untergang der Sankt Christophorus hielten wir ihn alle für tot. Und doch hat es Gott in seiner unergründlichen Weisheit gefallen, ihm ein neues Leben zu schenken.«
»Als Sklave der Assassinen, wie mir zu Ohren gekommen ist«, sagte Odo. Robin wollte den Blick senken, doch er hob die Hand und bedeutete ihr mit einer Geste, ihn direkt anzusehen.
»Wie ist es dir in der Gefangenschaft der Heiden ergangen, Bruder?«, fragte er.
Des warnenden Blickes, den Horace ihr verstohlen zuwarf, hätte es nicht bedurft, damit sich Robin ihre Antwort ganz genau überlegte. »Sie haben mich gut behandelt«, sagte sie bedächtig.
»Mehr wie einen Gast als einen Gefangenen.«
Odos Augen wurden schmal. »Dann hast du sicher auch Raschid Sinan selbst gesehen?«
»Er selbst war es, der mich aus der Gewalt des Sklavenhändlers befreit hat«, antwortete Robin.
»Warum?« Es war Ridefort, der diese Frage stellte, nicht Odo, und sie kam schnell und scharf wie ein Peitschenhieb.
Robin suchte fast verzweifelt nach einer Antwort, doch Horace kam ihr zuvor. »Vermutlich ist ihm zu Ohren gekommen, dass sich einer der Unseren unter den Sklaven befindet«, sagte er.
»Immerhin gibt es ein Bündnis zwischen uns und den Assassinen. Möglich, dass er geglaubt hat, es wäre von Vorteil für ihn, einen gefangenen Ordensbruder aus der Gewalt der Sklavenhändler zu befreien.«
Ridefort sah ihn eindeutig verärgert an, doch Horace zeigte sich wenig beeindruckt. Der Marschall stand in der Hierarchie des Ordens eindeutig über Horace, was diesen - zumal als Komtur und damit Hausherr dieser Burg - aber nicht im Geringsten zu beeindrucken
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