Die Rückkehr der Zehnten
ihren Häusern verborgen hatten. Mit ihnen hat er von der Meeresseite aus die Geheimgänge freigeräumt, sodass die Sarazenen später nur noch eine dünne Steinwand beseitigen mussten. Ihm hat die Desetnica zu verdanken, dass genug ihrer Krieger in die Stadt gelangen konnten, um die Tore zu öffnen.«
Sie drehte sich um und rief in den Hauseingang: »Matej! Lisanja lebt!«
Fast augenblicklich erschien Matej in der Tür. Rußflecken im Gesicht gaben ihm das wilde Aussehen eines Kriegers. Ein paar angesengte Strähnen hingen ihm in die Stirn und er roch nach verbranntem Salz und Rauch. Ungläubig starrte er Lis an, die sich noch immer auf Mokoschs Schultern stützte, dann ging auf seinem Gesicht eine lächelnde Sonne auf. »Gott sei Dank!«, sagte er aus tiefster Seele.
Lis musste lächeln bei diesem Ausspruch aus ihrer eigenen Zeit. Ein warmes Gefühl der Freude übermannte sie und spülte ihre Befürchtungen hinweg. Im nächsten Augenblick umarmten sie sich. Meerwasser tropfte über Lis’ Hände. Erst jetzt merkte sie, dass Matej über und über nass war. »Wir waren im Meer«, raunte er und grinste. »Wenn man aus Poskurs Umarmung entkommen will, hilft nur Nemejas Wasser.«
»Wir müssen zum Turm«, flüsterte sie ihm zu.
»Ich weiß«, sagte Matej. »Tona und ich helfen euch. Kommt!« Er drehte sich um und ging voraus. Die drei Frauen folgten ihm, so schnell sie konnten.
Die Tür des Turms war unbewacht, nur Poskurs Statue grinste ihnen mit gefletschten Zähnen entgegen. Hinter ihnen ragten die Scheiterhaufen in den Himmel. Ihr Anblick ließ Lis erschauern. Hoch aufgeschichtet lagen Planken, Äste und zu Scheiten zerhackte Pinienzweige. Aus der Mitte jedes Scheiterhaufens ragte etwas hervor, das aussah wie ein eiserner Käfig. Er bot gerade genug Raum für einen stehenden Menschen – vorausgesetzt, der Mensch war so straff gefesselt, dass der Körper zwischen die Eisenringe gezwängt werden konnte. Lis schluckte. Grauen erfasste sie bei diesem Anblick, sie stolperte und schlug sich den Fuß an. Wieder kam ihr Zlatas Prophezeiung in den Sinn, doch dann erinnerte sie sich an ihre eigenen Bilder aus der Zukunft, an Mokosch, über deren Kopf Intisars Axt schwebte, und Tona mit brennendem Haar und dachte, dass Zlatas Worte ebenso gut schon lange Wahrheit geworden sein konnten. Schließlich hatte Poskurs Feuer sie bereits verbrannt – sie trug sein Mal am Hals.
»Gib mir die Axt!«, sagte Matej und deutete auf die Waffe, die Lis immer noch am Gürtel trug. Sie reichte sie ihm und trat einen Schritt zurück. Angespannt beobachtete sie, wie er mit der Waffe auf die Tür einhieb. Lange, pfeilspitze Holzspäne flogen davon, bis nach und nach ein Spalt entstand, der allerdings kaum breiter war als Matejs Hand. Hektisch griff er hinein und tastete nach dem Riegel, der sich an der Innenseite der Tür befand. Sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. »Der Riegel!«, stieß er hervor. »Er ist zu weit unten. Ich komme nicht ran.« Er zog den verschrammten Arm durch die Wunde im Holz und holte wieder mit dem Beil aus, um den Spalt zu vergrößern.
Kampfgeschrei ertönte vom Palast her. Lis sah sich gehetzt um und suchte instinktiv nach einem Versteck. Wer weiß, vielleicht würden die Priester oder Dabogs letzte Krieger sich zum Turm flüchten, um sich darin zu verschanzen? Sie, Matej und die anderen konnten sich nur hinter dem Turm in Sicherheit bringen, aber selbst dort würden die Krieger von Antjana sie finden. Mokosch trat vor und legte Matej die Hand auf den Arm. »Lass mich«, sagte sie bestimmt. »Ich habe schmalere Hände und dünnere Arme als du.« Ohne auf eine Antwort zu warten trat sie zur Tür und schob ihren Arm mühelos bis fast zur Schulter durch den Spalt. Es gab ein dumpfes »Klack« und die Tür war offen.
Nacheinander schlüpften sie durch den niedrigen Durchgang und schoben den Riegel wieder vor. Lis sah, dass ein Räderwerk den schweren Holzriegel mühelos bewegte. Nun war die Tür wieder fest verschlossen. Mehrere Löcher im Riegel, in denen Metallstifte und Bronzerädchen schimmerten, deuteten darauf hin, dass es noch einen zusätzlichen Schließmechanismus gab. Levin hatte ihr erzählt, dass nur die Türhüter der Priester wussten, wie man eine Tür damit fester verschloss als das Tor zur Totenwelt. Sie hatten Glück gehabt, dass die Tür jetzt nur einfach verriegelt gewesen war.
Der schwache Schein von Opferfackeln beleuchtete einen runden Raum. Auf dem gestampften Boden standen sieben
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