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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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schärfer als ein Messer war. »Hast du davon gewusst?«
    Stumm schüttelte der Novize den Kopf. Mit der Klarheit eines Blitzlichtes, das alle Gegenstände in einem dunklen Raum gestochen scharf aufleuchten ließ, erkannte Lis, dass er log. Es war nicht Tschur gewesen, den ihr Niam als Spitzel an die Fersen geheftet hatte, nein, der sanfte Wit war ihr gefolgt. Er war der Schatten gewesen, der ihr in der Nähe der Stadtmauer aufgefallen war, er befand sich nicht zufällig zur selben Zeit wie sie an denselben Orten. Und als Fürstensohn hatte er jederzeit Zugang zu den Privatgemächern im Palast und zu seiner Schwester Mokosch. Eigentlich war es so logisch, dass sie sich selbst in dieser Situation ärgerte, es nicht schon eher erkannt zu haben. Vor allem war ihr nicht bewusst gewesen, wie sehr ihr Leben und ihre Sicherheit von Wits Schweigen abgehangen hatten. Er war ein schlechter Lügner – sogar sie erkannte an seinem Blick, dass er viel über sie wusste, zu viel. Doch er hatte sie geschützt, aus welchem Grund auch immer, vielleicht wegen Mokosch, vielleicht aber auch, weil er sie mochte. Nun würde sie es jedenfalls nicht mehr erfahren.
    Als hätte er ihre Gedanken gehört, sah Niam sie hasserfüllt an. »Ich hätte dir auf Poskurs Fest den Goldschmuck vom Hals reißen und dich töten sollen«, schrie er. Seine Stimme überschlug sich.
    Ich bin sein Schicksal, dachte Lis mit einem Gefühl grimmiger Genugtuung. Ich trage das Mal Poskurs, nach dem die Desetnica gesucht hat. Triumph mischte sich in ihre Angst. »Ich bin dein Tod, Niam!«, rief sie. »Und du weißt es!«
    Niam stolperte, als er gegen das Pferd stieß. Das Tier riss den Kopf hoch und machte einen erschrockenen Satz zur Seite. Die Krieger wichen vor ihr zurück, als wäre sie ein Dämon. Niam packte Wit an der Schulter und stieß ihn zwischen sich und Lis. »Töte sie!«, befahl er dem Novizen. »Beweise mir, dass du kein Verräter bist, und töte sie mit der Waffe Poskurs!«
    Wit zögerte. Sein Gesicht zuckte, als er den Bogen spannte und gehorsam einen Pfeil auf Lis’ Kehle richtete.
    »Töte sie, im Namen Poskurs, des Grausamen, des Gerechten!«, schrie Niam.
    »Wit!«, flüsterte Lis und sah dem großen Jungen mit der Furcht erregenden Rußmaske ins Gesicht.
    Wit schloss die Augen. Tränen rannen ihm über die Wangen und zogen helle Straßen durch die schwarze Zeichnung auf seiner Haut. Plötzlich hob er den Bogen ruckartig nach oben und ließ die Sehne los. Der Pfeil zischte der Sonne entgegen und verschwand im Himmel. Lis sah ihm noch verwundert nach, als Tschurs Speer sie schon mitten in die Brust traf.
    Der Schmerz war schlimmer als alles, was sie je erlebt hatte. Innerhalb von einer Sekunde schien die Luft aus dem Universum gesaugt worden zu sein, denn trotz ihrer krampfartigen Anstrengungen konnte sie nicht mehr atmen. Dennoch funktionierte ihr Verstand klar und ruhig. Die Umgebung hatte Geräusche und Stimmen verloren. Es war ein Gefühl wie unter Wasser zu tauchen und ebenso schwer fiel ihr jede Bewegung. So ist es also zu sterben, dachte sie. So ruhig und so lautlos…
    Nemeja tanzte vor ihr auf dem Boden, der Palasthof drehte sich. Aus dem Augenwinkel sah sie Wits verweintes Gesicht. Gerne hätte sie ihn getröstet und ihm dafür gedankt, dass er versucht hatte, ihr Leben zu retten. Millionen von flackernden Augenblicken später sah sie ein galoppierendes weißes Pferd, das einen Mann in zerrissener roter Robe davontrug.

Im Priesterturm
     
    D
    er Rauch wehte durch ihre wirren Gedanken. Verdammt, ich bin in der Holle gelandet, dachte sie. Wahrscheinlich weil ich das Medaillon aus Tante Vidas Küche gestohlen habe. Kajetan hat mich verraten.
    »Lisanja!«, flüsterte eine Stimme. Jemand schüttelte sie an der Schulter. Sofort pochte der dumpfe Schmerz wieder durch ihren Brustkorb, aber er war bei weitem nicht mehr so schlimm. Erstaunt wurde Lis bewusst, dass sie atmete. Sie röchelte und machte mühsam die Augen auf. Mokoschs Haar streifte ihre Wange.
    »Du bist nur verletzt!«, flüsterte die Fürstentochter. »Nemeja sei Dank, du lebst!«
    »Ja«, brachte Lis verwundert hervor. »Ich… glaube… schon.« Vorsichtig tastete sie nach der Stelle an ihrem Brustbein, wo sie eine klaffende Wunde vorzufinden erwartete. Aber alles, was sie spürte, waren zerfetzter Stoff und verbogene Metallösen. Mühsam hob sie den Kopf.
    Sie lag auf dem Mosaik im Palasthof. Rechts von ihr schnappten Poskurs Klauen in ihre Richtung, links tanzte Nemeja

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