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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Kriegern, die ihm jederzeit helfen konnten!
    Als Niam von dem weißen Pferd sprang, das Levin als Orakeltier gedient hatte, tauchte auch Wit auf. Die Augen des Fürstensohnes wurden riesengroß, als er Lis erblickte. Sie sahen sich an, beide verzweifelt, beide unglücklich darüber, sich hier gegenüberzustehen. In einer anderen Zeit, echote es in Lis’ Gedanken. In einer anderen Zeit, in einer anderen Stadt, vielleicht in München, könnten wir uns heute Abend eine DVD ausleihen und uns zu Hause »Der Herr der Ringe« anschauen. Vor allem die Kampfszenen. Beinahe hätte sie gelacht.
    Tschur schloss die Faust fester um seinen Speer.
    Sie saß in der Falle. Sie würde Levin nicht retten, jetzt nicht mehr. Vielleicht hatte er Glück und die Desetnica würde ihn befreien. Aber sie, sie würde nicht zurückkehren. Nicht heute, nicht morgen, nie mehr.
    Tränen der Wut und Enttäuschung schossen ihr in die Augen. Am liebsten hätte sie Niam ins Gesicht gespuckt und ihn geschlagen. Aber sie riss sich zusammen und bot all ihre Kraft auf, sich ihre Hoffnungslosigkeit nicht anmerken zu lassen. »Du kommst zu spät, Niam«, sagte sie zu ihm. »Dabog kann dir nicht mehr helfen, und die Desetnica wird dich und dein kriecherisches Anhängsel in Stücke hacken.« Mit einem gespielten Lächeln, von dem sie hoffte, es wirke so hochmütig, dass er es niemals vergessen würde, deutete sie auf Tschur. Sein Grinsen verschwand, als hätte sie eine Kerze ausgeblasen, und seine Lippen wurden schmal.
    Lis wandte sich wieder an Niam und zeigte auf das Tor. Sie räusperte sich und versuchte ihrer Stimme einen festen und bedrohlichen Klang zu geben. »Sie wartet da drinnen auf dich, Niam. Ihre Krieger haben den Palast bereits eingenommen.«
    Im Gesicht des Hohepriesters kämpften Wut und Unglauben einen fairen Kampf. Er sah aus wie ein Wolf, der in die Ecke getrieben wurde. Ohne Vorwarnung entschloss er sich zum Angriff. Mit zwei Schritten war er bei Lis. Sie schrie auf, doch es war zu spät – mit einem schnellen Griff hatte er ihr Haar gepackt und riss ihren Kopf nach hinten.
    Sie fühlte die Schneide eines Opfermessers an der Kehle und roch Niams Schweiß. Ekel und Verzweiflung drohten sie zu übermannen, doch die Wut war stärker. »Und wenn du mich tötest, du wirst nichts damit erreichen«, brachte sie gepresst hervor.
    »Ich werde dich nicht töten, Lisanja«, zischte ihr Niam zu. Seine Augen waren hart und dunkel wie Blutstein. »Denn wenn es so ist, wie du sagst, bist du sicher nicht das schlechteste Schutzschild.«
    Tschur lachte. Noch einmal zog Niam so fest an Lis’ Haaren, dass sie aufschrie und in die Knie ging. Dann spürte sie, wie sich der Griff des Messereisens unvermutet lockerte. Sie nutzte diese letzte Gelegenheit und spannte alle ihre Muskeln an. »Intisar!«, schrie sie, so laut sie konnte.
    Es war eher ein Heulen als ein Schrei. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Wit unwillkürlich einen Schritt nach hinten machte. Raue Rufe antworteten ihr aus dem Palast. Jishaars und Aladars Stimmen! Sie hörte das Geräusch von schweren Füßen, die die Treppen herabpolterten.
    Niam zwang ihren Kopf wieder nach hinten, bis sie seine rot geränderten Augen sah. Sie loderten vor Hass. Jetzt wird er mich töten, dachte Lis. Ich habe den Bogen überspannt – wie Fürst Dabog konnte ich meinen Rand nicht halten. Reflexartig schloss sie die Augen und verabschiedete sich von allem, was sie kannte und liebte.
    Doch statt die Klinge zu spüren, hörte sie einen keuchenden Entsetzenslaut. Die Hand in ihrem Haar lockerte ihren Griff und ließ schließlich ganz los. Lis taumelte zurück und blinzelte.
    Niams Krieger standen im Halbkreis um sie herum. Plötzlich war sie auf dem Mosaik von Poskur und Nemeja ganz allein. Mit weit aufgerissenen Augen glotzte Niam ihren Hals an. Er war blass geworden. Während er Schritt für Schritt zurückwich, deutete er mit zitternder Hand auf ihr Feuermal. Lis erkannte, dass der Hohepriester Poskurs Angst hatte. »Der Fleck«, keuchte er. »Das Mal Poskurs. Ich hätte wissen müssen, dass du es bist. Schon als du mit Karjan auf den Priesterhof kamst, hätte ich dich erkennen müssen. Du warst keine Dienerin, das habe ich von Anfang an gesehen.«
    Seine Augen verengten sich. Zu Lis’ Überraschung wandte er sich ruckartig zu Wit um, der unwillkürlich den Arm vor das Gesicht hob, als würde er einen Hieb erwarten. »Habe ich einen Verräter in meinem Tempel großgezogen?«, sagte Niam mit einer Stimme, die

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