Die Rückkehr Des Bösen
andere von ihrer Flugangst her, auch wenn das kein Trost war. Gwen hatte etwas von „offenen Rechnungen“ gesagt, und genau das stellte Vater Keller für Maggie dar. Einer, der unschuldige kleine Jungen umbringen und ihnen ein Kreuz in die Brust schlitzten konnte, der hörte damit nicht auf, nur weil er entkommen war. Der mochte zwar seinen Aufenthaltsort gewechselt haben, aber im Herzen hatte er sich kein bisschen gewandelt. Das stand für Maggie fest. Sie kannte das Böse.
Und das war auch der Grund für ihre Annahme, dass die drei Fälle in der Tat zusammenhingen. Maggie zog einen Hefter hervor, den sie in aller Eile zusammengestellt hatte, bevor Gwen sie heute Morgen abgeholt und zum Flughafen gebracht hatte. Jetzt, während des Fluges, bot sich die Gelegenheit, die Artikel zu überfliegen, die sie sich aus dem Internet gezogen hatte. Von Boston bis Portland, von New York City bis New Mexico – überall, landauf, landab, standen Geistliche im Verdacht, sich sexuell an Schutzbefohlenen vergangen zu haben. Im Zuge ihrer nur kurzen Recherche hatte Maggie erfahren, dass man die Zahl der Priester, die sich in den letzten Jahren mit dem Verdacht sexuellen Missbrauchs konfrontiert sahen, auf fünfzehnhundert schätzte.
Klar, zunächst brauchte sie weitere Informationen. Möglich, dass sie voreilige Schlüsse zog, aber angesichts dieser drei Fälle hier hatte sie nicht den Eindruck, als habe es ein Serienmörder auf Kleriker abgesehen, um vielleicht seinem Hass auf die Kirche Ausdruck zu verleihen oder weil er in die Zeitungen kommen wollte. Nein, Maggie fragte sich vielmehr, ob sich da nicht jemand vorgenommen hatte, seine eigene Art von Gerechtigkeit walten zu lassen. Denn ein einziger Stich durch Brust und Herz, das mutete eher an wie eine Hinrichtung.
37. KAPITEL
Washington, D. C.
Gwen hatte sich schließlich entschieden, nicht mehr ans Telefon zu gehen und stattdessen den Anrufbeantworter eingeschaltet. Nach Benny Hasserts Anruf, dass die Fingerabdrücke auf dem Umschlag nicht mit denen auf dem Wasserglas übereinstimmten, verspürte sie nicht die geringste Lust, mit jemandem zu reden. Befand sie sich in Bezug auf Rubin Nash tatsächlich auf dem Holzweg? Oder war er bloß geschickter, als sie ihm zugetraut hatte? Natürlich konnte das Kuvert trotzdem von ihm stammen, obwohl sich seine Fingerabdrücke nicht darauf befanden. Egal, sie fühlte sich viel zu kaputt, um sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen.
Der eingeschaltete Anrufbeantworter bedeutete noch lange nicht, dass das Telefon stumm blieb. Allmählich ging ihr das Geklingel auf die Nerven, zumal es jedes Mal Harvey aus dem Schlaf riss. Dann raffte er sich auf, schüttelte sich und trottete im Zimmer herum oder hinter Gwen her. Es nützte nichts, wenn sie ihm „Platz!“ befahl. Naja, so ganz stimmte das nicht. Ein oder zwei Mal gehorchte er ihr doch, sah sie dabei aber so jämmerlich an, als verlange sie etwas von ihm, das seiner Natur völlig zuwider lief. So würde sie nichts auf die Reihe kriegen. Nur gut, dass sie montags keine Klienten hatte.
Sie hatte Dena mehrmals zu Hause sowie auf ihrem Handy angerufen und Nachrichten hinterlassen. Gwens erster Gedanke war, das Mädchen sei womöglich mit seinem neuen Verehrer auf und davon. Ein wenig verärgert war sie schon, aber mehr ihrer selbst denn Denas wegen. Wie kommt es bloß, fragte sie sich, dass du andauernd Mitarbeiterinnen einstellst, die dich dann einfach sitzen lassen? Nein, das war nicht gerecht. Die zufällige Begegnung mit Dena am Samstagnachmittag in Mr. Lees Delikatessenmarkt war irgendwie merkwürdig gewesen. Dena war ihr so ... ja, nervös vorgekommen, verkrampft. Aber welche Frau wäre das nicht, wenn sie mitten beim Einkauf für einen romantischen Abend ihrer Chefin in die Arme rannte! Trotz ihrer gelegentlichen Patzer im Büro konnte man Dena Unzuverlässigkeit kaum nachsagen.
Und genau aus diesem Grund machte sie sich langsam Sorgen. Ob dem Mädchen etwas passiert war? Hatte es vielleicht einen Notfall in der Familie gegeben? Gwen wusste nicht einmal, ob ihre Bürokraft eine Mitbewohnerin hatte oder Verwandte in der Nähe. Angenommen, es war dem Mädchen etwas zugestoßen – wen konnte sie kontaktieren?
Vor einiger Zeit schon hatte sie beschlossen, sich nicht weiter um das Privatleben ihrer Mitarbeiterinnen zu kümmern, denn sie war es Leid gewesen, ständig um therapeutischen Rat gebeten zu werden, ganz so, als stehe der Mitarbeiterin einer psychologischen Praxis diese
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