Die Rueckkehr des Daemons
K-Marts, in der Nähe von Starbucks. Mit einem leeren Pappbecher in der Hand sprach sie die Leute an, die das Kaufhaus verließen. Manche warfen ihr ein paar Münzen hinein, andere pöbelten sie an, der Rest versuchte, sich an ihr vorbeizumogeln.
Sid zögerte. Was sollte er ihr sagen? Hi, ich bin der Typ, der den Unfall hatte!? Klang ziemlich bescheuert. Und was war, wenn sie sich gar nicht mehr an ihn erinnerte? Oder ihn mit der neuen Haarfarbe nicht wiedererkannte. Schließlich sah sie täglich Tausende von Menschen.
Unsicher schlenderte er ein paar Schritte auf sie zu. Nein, dachte er, ich schaffe das nicht! Sie ist so cool und ich bin so eine Niete. Sicher lacht sie mich aus.
Sid machte kehrt. Plötzlich wollte er zurück in das Apartment im San Remo, wo es Klimaanlagen und Alarmanlagen und Hundesitter und Hausmädchen gab. Schweiß, Betteln, Schnaps und halb zerrissene Klamotten, das war nicht seine Welt. Hier gehörte er einfach nicht her.
Ein schriller Pfiff fuhr ihm bis ins Mark. Seine Füße stoppten wie von selbst. Das war der Pfiff, den er kurz vor dem Unfall gehört hatte. Auf der Straßenseite gegenüber dem Schulgebäude. Nicht so ein jaulendes Geträller wie von dem Ramonesfan.
Ein spitzer Finger tippte ihm auf die Schulter.
»Mensch, Sid! Was machst du denn hier?« Ihre Stimme klang ehrlich erfreut.
Ich drehe mich nicht um!, dachte Sid. Wenn sie nicht da ist, wenn ich mir alles nur einbilde, springe ich wieder in den Atlantik! Sein Herz klopfte ihm schmerzhaft bis zum Hals.
Als er sich doch überwand, stießen ihre Nasen fast aneinander. So nah war er dem Mädchen schon einmal gewesen, und danach war alles anders geworden.
»Hi!«, sagte Rascal fröhlich und ging einen Schritt zurück. »Schön, dass du da bist! Ich wollte mich schon lange für den dead president bedanken!«
Sid musterte sie von oben bis unten. An mehr als ihre Haarfarbe hatte er sich ja nicht erinnern können. Ihr Gesicht war fein geschnitten, ihr Teint wirkte wie Porzellan… verdammt hübsch, wie er sich eingestehen musste. Durch den linken Nasenflügel war ein silberner Ring geschossen, und in jedem Ohrläppchen saßen drei Stecker. Unter einem T-Shirt mit dem Aufdruck Hawaiian Airline trug sie ein langärmeliges Herrenoberhemd, dazu einen Jeansminirock und eine zerrissene schwarze Netzstrumpfhose. Ihre Füße steckten in rosa Chucks ohne Schnürsenkel, die Armeeumhängetasche war mit Anstecknadeln von Punkbands übersät. Sie roch zart nach Veilchen. Aus blauen Augen strahlte sie Sid an. Es war das blauste Blau, das er jemals gesehen hatte.
»He, Sid!«, sagte sie lachend. »Hast du bei dem Unfall auch deine Sprache verloren oder nur deine Frisur?«
Verwirrt schüttelte Sid den Kopf. »Nein. Ich finde es nur unglaublich, dass ich dich gefunden habe!« Augenblicklich spürte er, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Scheiße. Das hatte nicht so geklungen, wie es klingen sollte.
Rascal kicherte. »Ich auch!« Sie schielte in ihren Pappbecher. »Miese Ausbeute bisher. Aber für zwei Latte sollte es reichen. Magst du Kaffee?«
Sid beeilte sich zu nicken. Er hasste Kaffee. Aber Kakao klang so kindisch, er wollte nicht wie ein Weichei dastehen. Also nahm er einfach das Gleiche wie Rascal, die sich hier bestens auszukennen schien. Unauffällig versuchte er der Bedienung einen Schein zuzuschieben, aber Rascal bestand darauf, ihn einzuladen.
Draußen hockte sie sich im Schneidersitz auf den Bürgersteig. »Du hast mir schon genug gegeben«, sagte sie knapp und pustete auf ihr Getränk. »Einhundert Dollar! Dafür kann ein Kind in Malawi fast drei Jahre zur Schule gehen. Oder UNICEF zwei Gesundheitshelfer ausbilden!«
»Was?«, fragte Sid verblüfft nach.
»Malawi, Afrika! Eines der ärmsten Länder der Welt. Alles, was ich nicht zum Leben brauche, spende ich unicef. Die kümmern sich weltweit um Kinder. Um sauberes Wasser und Impfungen und Ausbildung und so. Ich will auch Entwicklungshelferin werden.« Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem Becher. »Aber jetzt sag mal, wo du warst! Deine schnöseligen Schulkameraden haben mir zwar deinen Namen verraten, Sidney Martins, aber ich habe dich in keinem Krankenhaus in ganz New York gefunden.«
»Du… du hast mich gesucht?«, stammelte Sid.
»Klar! Ich wollte dir doch das hier wiedergeben.« Sie zog ein Buch aus ihrer Tasche. Sid erkannte es gleich wieder. Naked Lunch, William Burroughs . »Klasse Stoff!«, schwärmte sie. »Mir gefällt seine Idee mit der
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