Die Rueckkehr des Daemons
drückte sich auf dem Bahnsteig herum. Wahrscheinlich stoppte ihre Anwesenheit seinen Verfolger.
Auf der Straße war Sids kurzes Glücksgefühl schnell wieder verflogen. Rascal wartete an der falschen Station auf ihn. Den Weg dahin musste er wohl oder übel alleine durchstehen. Als er an einer Gruppe Crack rauchender Jugendlicher vorbeihuschte, schoss ihm eine Zeile aus HOWL durch den Kopf: Dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an angry fix…
Damals in der Sicherheit des Klassenraums, mit den Wachmännern vor der Tür, hatten diese Worte nach Freiheit geklungen – negro streets . Jetzt ging eine ungeheure Beklemmung von ihnen aus. Seine düstersten Vorahnungen wurden erfüllt, als ihm die Gang aus dem Zug den Weg versperrte. Sid stoppte. Der Typ mit der Nike-Jacke schien ihn wiederzuerkennen. Seine schiefe Nase zeigte, dass er keine Schlägerei scheute. Die Crackraucher drückten sich noch tiefer in ihren Hauseingang.
»Wen haben wir denn da?«, fragte er scheinheilig in die Runde. Seine fünf Kumpane lachten breit. »Weißbrot spricht bekanntlich nicht mit jedem. Schon gar nicht mit uns Niggern, was?« Mit großer Geste zog er einen Revolver hinten aus dem Gürtel. »Jetzt werden wir mal sehen, ob Mister Neun Millimeter hier deine Zunge lösen kann!« Mit einer geübten Handbewegung entsicherte er die Waffe.
»Yo, Sniper«, antwortete sein Freund kichernd. »Bring ihn zum Tanzen!«
Während er näher kam, fuchtelte der Typ theatralisch mit dem Revolver in der Luft herum.
Als Sniper nur noch wenige Schritte von Sid entfernt war, hallte plötzlich ein Schrei durch die Mauerschluchten. Aus heiterem Himmel sauste ein Raubvogel auf den Anführer der Gang herunter. Seine Krallen bohrten sich tief in das verblüffte Gesicht. Überrascht kreischte Sniper auf. Scheppernd landete seine Waffe auf dem Asphalt. Seine Freunde machten keine Anstalten sie aufzuheben. Sein verzweifeltes Brüllen drang Sid bis ins Mark.
»Sid! Sid!« Rascal kam mit großen Schritten die Straße heruntergerannt.
Sid fiel ihr in die Arme. »Ich kann nicht mehr!«
Als er von ihrer Schulter aufsah, schleppte sich Sniper in eine Seitengasse, die Hände gegen das aufgerissene Gesicht gepresst. Seine Freunde stützten ihn.
Der Vogel war verschwunden.
Sid glaubte, einen Falken erkannt zu haben. Wie in seinem Traum.
61. Kapitel
Uuuuuuuuuuuuuooooah!
Hinweg mit dir, Falke!
Seths Hoden hast du gestohlen!
Seine Männlichkeit!
Seine Welpen, vor ihrer Geburt!
Welpen, unsere Zukunft!
Hinweg mit dir, Falke!
62. Kapitel
NYC , Bronx, Donnerstag, 11. Oktober 2007,
1 Uhr 30
Sid war in Sicherheit. Mit kleinen Schlucken trank er den Orangensaft, den ihm Rascal auf ihrer angerosteten Kochplatte heiß gemacht hatte. Das Getränk tat ihm gut, er spürte, wie sich die Wärme vom Magen aus in seinem gesamten Körper verteilte. Sein nasser Kapuzenpulli hing über einer Stuhllehne, auf dem Teller eines alten tragbaren Plattenspielers drehte sich Ramones von den Ramones. Dreimal mussten die Urpunks mit unfassbarer Gleichgültigkeit ihre traurigen Lieder über das wilde Leben in den Straßen New Yorks, den Alltag als Stricher und Klebstoffschnüffler röhren, bis Sid über alle Ereignisse der vergangenen Stunden berichtet hatte.
Rascal lehnte an der Wand unter dem Sex-Pistols-Poster und schwieg. Ihre blauen Augen wanderten unablässig über die Bodendielen, als suche sie dort die Lösung für all die Rätsel, die Sid bis tief ins Innerste quälten. Plötzlich klatschte sie in die Hände.
»Okay!«, sagte sie knapp. »Deine Eltern stecken mit den Mitgliedern des Kults unter einer Decke, wahrscheinlich gehören sie selber dazu. Der Psychodoc und dein Patenonkel ebenfalls, es bleibt also niemand übrig, den wir fragen könnten, was mit dir passiert ist.«
Tief durchatmend stand sie auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. »Hier kommen wir nicht weiter, also müssen wir uns das ansehen, was wir haben. Liberty enlightening the world . Was bedeutet das? Ist es ein Hinweis auf das Mumienherz?«
Sid zuckte mit den Schultern. Sein Gehirn war für komplizierte Dechiffrierungen noch nicht wieder bereit. »Es klingt toll. Vielleicht ist es der Anfang eines Gedichts oder die Schlusszeile. Andere Ideen dazu habe ich nicht.«
»Ich auch nicht. Und was macht man, wenn man nicht weiter weiß?«
Sid war ehrlich ratlos. »In die Bücherei gehen?«
»Nicht schlecht, aber vor neun Uhr morgen Früh werden wir da kein Glück haben. Deshalb habe
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