Die Rückkehr des Drachen
schweren Steinblöcken hindurch, aber sie kam voran. Einmal trat sie auf den Arm einer Frau, der unter einem Berg von Verputz und Klinkersteinen herausragte. Hier war eine Innenwand eingestürzt und vielleicht auch ein Teil des darüberliegenden Fußbodens. Sie bemerkte den Arm genausowenig wie den Ring mit der Großen Schlange an einem der Finger. Sie hatte sich darauf eingestellt, die Toten in diesem Abfallhaufen nicht zu bemerken, den die Trollocs und Schattenfreunde aus Caemlyn gemacht hatten. Sie konnte für die Toten nichts mehr tun.
Sie quetschte sich durch eine enge Lücke, wo ein Teil der Saaldecke eingestürzt war, und fand sich in einem halb von Schutt ausgefüllten Raum wieder. Dort lag Rand. Ein schwerer Balken hatte sich über seiner Hüfte verklemmt, und seine Beine steckten unter Steinblöcken. Sein Gesicht war mit Staub und Schweiß verkrustet. Als sie sich ihm näherte, öffnete er die Augen. »Du bist zurückgekommen.« Er preßte die Worte als heiseres Flüstern aus sich heraus. »Ich hatte gefürchtet... Spielt keine Rolle. Du mußt mir helfen.«
Sie sank erschöpft zu Boden. »Ich könnte diesen Balken mit Hilfe der verdichteten Luft leicht anheben, aber dann stürzt alles über dir zusammen. Über uns beiden. Ich kann nicht alles auf einmal schaffen, Rand.«
Sein Lachen klang bitter und schmerzerfüllt und brach so schnell ab, wie es begonnen hatte. Frischer Schweiß glänzte auf seiner Stirn, und Egwene sah, wie ihm das Sprechen Mühe machte. »Ich könnte den Balken selbst verschieben. Das weißt du. Ich könnte ihn verschieben und auch die Steine darüber - alles auf einmal. Aber um das zu tun, muß ich mich Saidin öffnen, und das kann ich nicht. Ich kann nicht darauf vertrauen...« Er hielt inne und holte ächzend Luft.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie langsam. »Wem vertraust du nicht?« Der Weg zurück erscheint nur einmal. Seid standhaft. Sie rieb sich heftig die Ohren.
»Der Wahnsinn, Egwene. Ich-halte-ihn-nur-mit-Mühe-zurück.« Sein keuchendes Lachen ließ sie erschauern. »Aber ich brauche alle Kraft dazu, das zu bewerkstelligen. Wenn ich nur ein wenig lockerlasse, auch nur einen Augenblick lang, dann packt mich der Wahnsinn. Dann ist mir alles gleich. Deshalb mußt du mir helfen.«
»Wie denn, Rand? Ich habe alles versucht, was mir eingefallen ist. Sag mir, wie, und ich tue es.«
Er streckte eine schlaffe Hand nach dem Dolch aus, der mit blanker Klinge im Staub lag. »Der Dolch«, flüsterte er. Seine Hand kroch unter Schmerzen auf seine Brust zurück. »Hier hinein. Ins Herz. Töte mich.«
Sie starrte ihn und den Dolch an, als seien beide Giftschlangen. »Nein! Rand, das tue ich nicht! Ich kann nicht! Wie kannst du nur so etwas von mir verlangen?«
Langsam bewegte sich seine Hand wieder auf den Dolch zu. Seine Finger erreichten ihn aber nicht. Er strengte sich an, stöhnte auf und berührte ihn mit einer Fingerspitze. Bevor er es noch mal versuchen konnte, schleuderte sie den Dolch mit einem Fußtritt von ihm weg. Er sackte schluchzend in sich zusammen.
»Sag mir, warum«, verlangte sie. »Warum verlangst du von mir, ich solle dich... ermorden? Ich werde dich heilen, ich werde alles tun, um dich hier herauszubringen, aber ich kann dich nicht töten. Warum?«
»Sie können mich umdrehen, Egwene.« Sein Atmen klang so gequält, daß sie am liebsten geweint hätte. »Wenn sie mich fangen - die Myrddraal, die Schattenlords -, können sie mich für den Schatten einsetzen. Wenn mich der Wahnsinn in den Klauen hat, kann ich mich nicht dagegen wehren. Ich weiß dann überhaupt nicht, was sie machen, bis es zu spät ist. Wenn auch nur ein Funke Leben in mir ist, schaffen sie das. Bitte, Egwene. Um der Liebe des Lichts willen - töte mich!«
»Ich... ich kann nicht, Rand. Licht, hilf mir, ich kann nicht!«
Der Weg zurück erscheint nur einmal. Seid standhaft. Sie blickte hinter sich, und dort stand ein silberner, von weißem Licht erfüllter Torbogen auf all dem Schutt. »Egwene, hilf mir.«
Seid standhaft. Sie stand auf und trat einen Schritt auf den Bogen zu. Er befand sich geradewegs vor ihr. Noch ein Schritt, und...
»Bitte, Egwene. Hilf mir. Ich kann ihn nicht erreichen. Um der Liebe des Lichts willen, Egwene, hilf mir!«
»Ich kann dich nicht töten«, flüsterte sie. »Ich kann nicht. Vergib mir.« Sie trat vor.
»HILF MIR, EGWENE!« Das Licht verbrannte sie zu Asche.
Taumelnd trat sie aus dem Bogen heraus. Sie bemerkte die eigene Nacktheit nicht, und es
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