Die Rückkehr des Drachen
Schildchen zu lesen. Sie wollte gar nicht wissen, wessen Besitztümer sie durchstöberte. Als sie alles auf den staubigen Boden ausleerte, stellte sich heraus, daß es vor allem alte Kleider und Schuhe waren, und dazu ein paar zerknüllte und halbzerrissene Stücke Papier, wie man sie durchaus unter dem Kleiderschrank einer Frau finden konnte, die nicht viel von Ordnung und Sauberkeit hielt. »Ich kann hier nichts Nützliches finden. Ein Umhang, der nicht einmal mehr als Putzlumpen geeignet wäre. Die abgerissene Hälfte irgendeines Stadtplans. Tear steht in einer Ecke darauf. Drei Strümpfe, die dringend gestopft werden müßten.« Sie steckte ihren Finger durch ein Loch in einem Samthausschuh, dessen Gegenstück fehlte, und wackelte damit herum. »Die hier hat keine Hinweise hinterlassen.«
»Amico hat auch nichts zurückgelassen«, sagte Elayne trübselig. Sie warf mit beiden Händen Kleider zur Seite.
»Es könnten genausogut Lumpen sein. Wartet mal, hier ist ein Buch. Wer das alles zusammengetragen hat, muß es sehr eilig gehabt haben, so daß sie auch noch ein Buch hineinwarf. Gebräuche und Zeremonien am Hof von Tear. Der Umschlag ist abgerissen, aber die Bibliothekarinnen werden es trotzdem haben wollen.« Das war sicher. Keiner warf Bücher weg, ganz gleich, wie stark sie beschädigt waren.
»Tear«, sagte Nynaeve mit gepreßter Stimme. Sie kniete inmitten des Plunders aus der Tasche, die sie gerade durchsuchte, und nahm einen Fetzen Papier wieder auf, den sie schon weggeworfen hatte. »Eine Liste von Handelsschiffen auf dem Erinin mit den Daten, wann sie in Tar Valon ablegten und wann man sie in Tear erwartete.«
»Es könnte Zufall sein«, sagte Egwene bedächtig.
»Vielleicht«, sagte Nynaeve. Sie faltete das Blatt und steckte es in ihren Ärmel. Dann erbrach sie das Siegel an einer anderen Tasche.
Als sie schließlich fertig waren, jede Tasche zweimal durchsucht und an den Wänden entlang den Plunder aufgehäuft hatten, setzte sich Egwene auf eine leere Tasche. Sie war so versunken, daß sie kaum bemerkte, wie sie dabei ächzte. Sie zog die Knie an und betrachtete die kleine Sammlung, die sie auf dem Boden ausgebreitet hatten.
»Es ist zuviel«, sagte Elayne. »Es ist einfach zuviel.«
»Zuviel«, stimmte Nynaeve ihr zu.
Da lag noch ein zweites Buch, ein zerfledderter, ledergebundener Band mit dem Titel: Beobachtungen bei einem Besuch in Tear. Die Hälfte der Seiten fiel schon fast heraus. Eine weitere Liste von Handelsschiffen war am Saum eines stark zerrissenen Umhangs in Chesmal Emrys Tasche hängengeblieben und wahrscheinlich durch einen Riß nach innen gerutscht. Sie nannte nicht mehr als die Namen, aber die befanden sich alle auch auf der anderen Liste. Demnach hatten all diese Schiffe am frühen Morgen nach der Flucht Liandrins und der anderen den Hafen von Tar Valon verlassen. Da lag auch der hastig hingekritzelte Plan eines großen Gebäudes. Ein Raum war mit verblaßter Schrift als ›Herz des Steins‹ bezeichnet worden. Dabei befand sich auch eine Seite mit den Namen von fünf Schenken. Oben auf dem Blatt stand stark verschmiert und gerade noch lesbar das Wort ›Tear‹. Dann lag da...
»Es ist von jeder etwas dabei«, murmelte Egwene. »Jede von ihnen ließ etwas zurück, das auf eine Reise nach Tear schließen läßt. Wie konnte jemand so etwas beim Suchen übersehen? Warum sagte die Amyrlin nichts davon?«
»Die Amyrlin«, sagte Nynaeve bitter, »tut, was sie will, gleich, was mit uns geschieht!« Sie holte tief Luft und nieste wegen all des Staubs, den sie aufgewirbelt hatte. »Was mir Sorgen macht, ist die Tatsache, daß wir einen Köder vor uns haben.«
»Köder?« fragte Egwene. Aber im gleichen Moment wurde ihr das ebenfalls klar.
Nynaeve nickte. »Köder. Eine Falle. Oder vielleicht ein Ablenkungsmanöver. Aber ob Falle oder Ablenkung - es ist so offensichtlich, daß niemand darauf hereinfallen würde.«
»Außer, es war ihnen völlig gleichgültig, ob die Finderin es als Falle ansieht oder nicht.« Elaynes Tonfall war von Unsicherheit geprägt. »Oder vielleicht wollten sie es so offensichtlich machen, daß für jeden, der diese Hinweise findet, Tear augenblicklich nicht mehr in Frage kommt.«
Egwene wünschte sich, sie könne nicht glauben, daß Schwarze Ajah derart selbstsicher seien, um so zu planen. Ihr wurde bewußt, daß sie schon wieder ihre Tasche in den Fingern hatte und mit dem Daumen die Rundung des darin verborgenen Steinrings nachfuhr. »Vielleicht
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