Die Rückkehr des Drachen
Zieht mich. Saidin. Die männliche Hälfte der Wahren Quelle. Manchmal kann ich mich nicht zurückhalten und muß danach greifen.« Er machte eine Bewegung, als pflücke er etwas aus der Luft, und dann betrachtete er seine geballte Faust. »Ich kann das Verderben fühlen, bevor ich es noch berühre. Das Verderben des Dunklen Königs. Es ist wie eine dünne Schicht von Bösartigkeit, die versucht, das Licht darunter zu verbergen. Es dreht mir den Magen um, aber ich habe kein Mittel dagegen. Es gibt keinen Widerstand. Doch manchmal fühle ich danach und greife nur Luft.« Er öffnete seine leere Hand und lachte bitter auf. »Was geschieht, wenn das gerade während der Letzten Schlacht passiert? Wenn ich danach greife und nichts finde?«
»Na ja, diesmal jedenfalls hast du etwas eingefangen«, sagte Perrin heiser. »Was hast du denn gemacht?«
Rand blickte auf, als sehe er alles zum erstenmal: das umgestürzte Lederblatt und die abgebrochenen Äste. Es hatte, wie Perrin überrascht feststellte, wenig Schaden gegeben. Er hatte klaffende Risse in der Erde erwartet. Die Wand der Bäume wirkte beinahe unberührt.
»Ich wollte das nicht tun. Es war, als wolle ich einen Wasserhahn öffnen, und statt dessen zog ich den ganzen Hahn aus dem Faß. Es... erfüllte mich. Ich mußte es irgendwohin ableiten, um nicht zu verbrennen, aber ich... wollte das nicht tun.«
Perrin schüttelte den Kopf. Was nützt es, wenn ich ihm sage, er solle so was nicht wieder tun? Er weiß ja kaum mehr über all das als ich. Er beließ es dabei, zu sagen: »Es gibt schon genug, die dir und uns allen den Tod an den Hals wünschen - denen mußt du die Arbeit nicht noch abnehmen!« Rand schien ihm gar nicht zuzuhören. »Wir sollten besser zum Lager zurückkehren. Es wird bald dunkel, und ich weiß wohl nicht, wie es mit dir steht, aber ich habe Hunger.«
»Was? Ach, geh nur schon vor, Perrin. Ich komme nach. Ich möchte noch ein wenig allein sein.«
Perrin zögerte und wandte sich dann unwillig dem Riß in der Felswand zu. Er blieb stehen, als Rand wieder etwas sagte: »Hast du auch Träume, wenn du schläfst? Gute Träume?«
»Manchmal«, meinte Perrin mißtrauisch. »Ich erinnere mich selten an meine Träume.« Er hatte gelernt, den Inhalt seiner Träume zu hüten.
»Sie sind immer da, diese Träume«, sagte Rand so leise, daß ihn Perrin kaum hörte. »Vielleicht sagen sie uns etwas? Wahrheiten.« Er schwieg wieder und grübelte.
»Das Abendessen wartet«, sagte Perrin, aber Rand war ganz in Gedanken versunken. Schließlich wandte sich Perrin ab und ließ ihn dort allein.
KAPITEL
3
Neues von der Ebene
E in Teil des Risses war in Dunkelheit gehüllt, denn an einer Stelle hatten die Erschütterungen hoch oben einen Teil der Felswand gelöst, und er hatte sich zwischen den beiden Steilwänden verklemmt. Er blickte mißtrauisch nach oben in die Schwärze hinein, doch die Steinplatte schien ganz festgeklemmt zu sein. Das Jucken in seinem Hinterkopf war wieder da, aber stärker als zuvor. Nein, seng mich! Nein! Es verging wieder.
Als er über dem Lager heraustrat, war die Mulde von eigenartigen Schattengebilden bedeckt, die von der untergehenden Sonne geworfen wurden. Moiraine stand vor ihrer Hütte und blickte zu dem Riß hinauf. Er blieb abrupt stehen. Sie war eine schlanke, dunkelhaarige Frau, die ihm kaum bis zur Schulter reichte, und sie war hübsch auf diese alterslose Weise aller Aes Sedai, die lange Zeit über mit der Macht gearbeitet hatten. Er hätte nicht sagen können, wie alt sie sei, denn ihre Gesichtshaut war zu straff, um sehr alt zu sein, und ihre dunklen Augen blickten zu weise drein für eine junge Frau. Ihr tief dunkelblaues Seidenkleid war verrutscht und staubbedeckt, und aus ihrem normalerweise wohlgeordneten Haar standen einzelne Strähnen hervor. Auf ihrem Gesicht bemerkte er einen Hauch von Staub.
Er senkte den Blick. Sie wußte alles über ihn - von allen im Lager wußten nur sie und Lan Bescheid -, und ihm gefiel das Wissen in ihrem Blick nicht, wenn sie ihm in die Augen sah. In seine gelben Augen. Eines Tages würde er es vielleicht fertigbringen, sie zu fragen, was sie alles wußte. Die Aes Sedai wußte sicher einiges mehr als er selbst. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Irgendwie schien nie Zeit dafür zu sein. »Er... er wollte es nicht. Es war ein... Unfall.«
»Ein Unfall, so«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. Dann schüttelte sie den Kopf und verschwand wieder in der Hütte. Die Tür
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