Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Das kannst du gar nicht wissen, du bildest es dir nur ein.
Doch ich ignorierte meine Gedanken und ging in die Richtung, in die mein Arm zeigte – links vom Weg weg auf den Bergrücken zu. Das Gefühl war immer noch genauso intensiv wie vorher. Immer tiefer ging ich in den Wald hinein. Schließlich blieb ich stehen und drehte mich um. Ich kam mir vor wie ein Blinder, der sich nur noch auf sein inneres Gespür verläßt. Ich hatte das Gefühl, daß Mama Chia mir jetzt näher war als vorher, dann kamen mir wieder Zweifel.
Aber das Gefühl war stärker als alle meine Zweifel, und es sagte mir, daß sie in der Nähe war. Wieder drehte ich mich im Kreis herum, blieb stehen und ging weiter. Plötzlich stieß ich mit einem Baum zusammen. Zu meiner Verblüffung begann dieser mit lauter Stimme zu sprechen: »Das war zu einfach. Das nächste Mal mußt du mich mit verbundenen Augen suchen!«
»Mama Chia!« rief ich begeistert, ging um den Baum herum und sah sie darunter sitzen. »Ich hab’s geschafft! Es hat tatsächlich geklappt!« Ich hüpfte vor Freude. »Mein Basis-Selbst hat mich zu dir geführt!«
Ich half Mama Chia auf die Beine, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an mich. »Danke! Das hat wirklich Spaß gemacht.«
»Das Basis-Selbst liebt Spaß«, sagte sie. »Deshalb spürst du jetzt so viel Energie in dir.«
Doch bald beruhigte ich mich wieder und erklärte ihr: »Ich werde diesen Schatz – oder was immer es auch sein mag – schon finden, wenn das die Aufgabe ist, die du für mich hast. Aber eigentlich brauche ich nicht weiter zu suchen – du bist ja schon der Schatz. Ich will hier bei dir bleiben, solange ich kann.«
»Dan«, sagte sie und faßte mich sanft an den Schultern, »das verrät mir, daß du nahe daran bist, den Sprung zu wagen – ganz, ganz nah. Aber mir sollst du nicht dienen. Ich bin nur eine Zwischenstation. Wenn du willst, denke später einmal dankbar an mich zurück. Aber nicht mir zuliebe – dir selbst zuliebe. Denn Dankbarkeit öffnet
das Herz.« In den letzten rosa Strahlen der sinkenden Sonne sah ihr Gesicht so glücklich aus, als sie mich anlächelte. In ihren Zügen spiegelte sich die ganze Liebe wider, die ich für sie empfand.
»Und jetzt«, bestimmte sie, »ist es Zeit für dich, auf die Suche zu gehen.« Sie setzte sich wieder, nahm Notizblock und Kugelschreiber aus ihrem Rucksack und schloß die Augen. Ich beobachtete sie. Sie saß einfach nur da, wartete und atmete. Dann begann sie mit ihrer zitterigen Handschrift etwas auf den Block zu schreiben – erst langsam, dann immer schneller. Als sie fertig war, reichte sie mir den Zettel. Darauf stand:
Unter Wasser, über See
Und tief in den Wald hinein geh.
Vertrau deinem Instinkt im Meer,
Und bring den Schatz zu mir her.
Willst du ihn finden, hab nur acht,
Mußt du reisen Tag und Nacht.
Wenn du ihn siehst, wirst du wissen und erkunden,
wie oben so unten.
Hast du begriffen, dann bist du bereit
Zu reisen über den Ozean weit.
Ich las den Zettel noch einmal. »Was soll denn das heißen?« fragte ich und blickte auf. Doch da war sie schon wieder verschwunden. »Verdammt noch mal! Wie machst du denn das?« rief ich in den Wald hinein. Dann setzte ich mich seufzend hin und fragte mich, was wohl als nächstes kommen würde.
Ich sollte mich also auf eine Schatzsuche begeben – eine Art Odyssee. Wahrscheinlich war es vernünftiger, wenn ich mich erst am nächsten Morgen auf den Weg machte. Aber in dem Rätsel hieß es, ich müsse »Tag und Nacht« reisen! Andererseits hatte es ja keinen Zweck, aufzubrechen, bevor ich überhaupt wußte, wo ich hin sollte. Ich las mir das Rätsel noch einmal durch. Daraus ging eindeutig hervor, daß ich an verschiedenen Orten suchen mußte: »Unter Wasser, über See« – dieser Teil verblüffte mich am meisten – und
auch im Wald. Am rätselhaftesten aber war der vorletzte Satz: »Wenn du ihn siehst, wirst du wissen und erkunden, wie oben so unten.«
Einem plötzlichen Impuls folgend, beschloß ich, bergauf in den Wald hineinzuwandern, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Im Osten ging schon der Vollmond auf. Er stand noch tief am Horizont, reichte aber aus, um meinen Weg zu beleuchten.
»Vollmond in der Nacht hält über mir Wacht«, sang ich im Takt meiner Schritte laut vor mich hin und stapfte in gleichmäßigem Rhythmus den feuchten, mondbeschienenen Waldweg hinauf. Ich fühlte mich frisch, wach und sehr lebendig. Der Wald sah nachts eigentlich nicht viel
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