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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Weil die Lüftungsklappe im Dach offen war, war es im Zelt nicht völlig dunkel. Es war nur düster. Rachels Augen gewöhnten sich sofort an die Lichtverhältnisse, und sie sah ein großes rechteckiges Loch in der Mitte des Zelts. Einen Aushubhaufen gab es nicht. Die Erde und die Steine und der Sand aus dem Grab waren vermutlich nach Quantico oder ins Labor der Außenstelle gebracht worden, wo man sie durchsieben und analysieren würde.
    »Die erste Stätte hier ist diejenige mit den Anomalien«, sagte Dei. »Die anderen sind ganz normale Bestattungen. Sehr sauber.«
    »Was für Anomalien?«
    »Zu dieser Stelle hat uns das GPS geführt. Und als wir hierher kamen, lag ein Boot dort. Es war …«
    »Ein Boot? Mitten in der Wüste?«
    »Erinnern Sie sich an diesen Prediger, von dem ich Ihnen erzählt habe? Der diese Siedlung ursprünglich angelegt hat? Er ließ einen Kanal für das Quellwasser bauen. Wir vermuten, das Boot stammt aus dieser Zeit. Es hatte schon jahrzehntelang hier rumgelegen. Jedenfalls, wir haben es beiseite geräumt, eine Bodensondierung vorgenommen und zu graben begonnen. Anomalie zwei ist, dass das Grab die zwei ersten Opfer enthielt. Alle anderen Gräber sind Einzelgräber.«
    »Diese ersten zwei Opfer, wurden sie zur gleichen Zeit begraben?«
    »Ja. Eins über dem anderen. Aber eine Leiche war in Plastik gehüllt, und dieser Tote war schon wesentlich länger tot als der andere. Sieben Monate länger, glauben wir.«
    »Demnach hat er eine Leiche eine Zeit lang zurückgehalten. Er hat sie zur Aufbewahrung verpackt. Und als er die zweite hatte, merkte er, dass er etwas unternehmen müsste, und kam deshalb hier raus in die Wüste, um sie zu vergraben. Das Boot benutzte er als Markierung. Als eine Art Grabstein und weil er wusste, er würde mit mehr zurückkommen.«
    »Möglicherweise. Aber wozu das Boot, wo er doch das GPS hatte?«
    Rachel nickte und spürte, wie eine Ladung Adrenalin in ihren Adern zu prickeln begann. Das Brainstorming war immer schon das Beste an ihrem Job gewesen.
    »Das GPS kam erst später ins Spiel. Erst vor kurzem. Das war nur für uns.«
    »Für uns?«
    »Für Sie. Das FBI. Mich.«
    Rachel stellte sich an den Rand und blickte in das Loch hinab. Es war nicht tief gewesen, vor allem nicht für zwei Leichen. Sie hörte auf, durch den Mund zu atmen und nahm die faulige Luft durch die Nase auf. Sie wollte sich daran erinnern.
    »Schon Identifizierungen?«
    »Nichts Offizielles. Noch keine Kontaktaufnahme mit Angehörigen. Aber wir wissen von mindestens fünf, wer sie waren. Drei Jahre seit der ersten Tat. Die zweite sieben Monate danach.«
    »Haben Sie einen Zyklus erstellt?«
    »Ja, haben wir. Eine etwa achtprozentige Reduzierung. Wir glauben, die letzten zwei werden uns bis zum November bringen.«
    Im normalen Sprachgebrauch hieß das, dass die Abstände zwischen den Morden jeweils um acht Prozent kürzer als die ursprünglichen sieben Monate wurden, die zwischen dem ersten und zweiten Mord vergangen waren. Auch das war nichts Neues. Der abnehmende zeitliche Abstand war in der Fallgeschichte üblich, ein Symptom der nachlassenden Fähigkeit des Mörders, seine Triebe zu beherrschen, während gleichzeitig der Glaube an seine Unbesiegbarkeit stärker wurde. Man kommt mit dem ersten ungestraft davon, und der zweite fallt schon leichter und passiert früher. Und so weiter.
    »Dann müsste er doch überfällig sein«, sagte Rachel.
    »Könnte man meinen.«
    »Könnte man meinen?«
    »Kommen Sie, Rachel, es handelt sich um Backus. Er weiß, was wir wissen. Er spielt nur mit uns. Es ist wie in Amsterdam. Er ist weg, bevor wir auch nur merken, dass er es ist. Das Gleiche hier. Er ist längst weitergezogen. Ich meine, warum sollte er uns sonst das GPS schicken? Er ist längst über alle Berge. Er ist nicht überfällig, und er kommt nicht hierher zurück. Er sitzt irgendwo und macht sich über uns lustig. Er beobachtet, wie wir nach dem gewohnten Schema vorgehen, und weiß dabei ganz genau, dass wir ihm ebenso wenig auf die Spur kommen wie letztes Mal.«
    Rachel nickte. Sie wusste, Dei hatte Recht, beschloss aber, optimistisch zu sein.
    »Irgendwann muss er mal einen Fehler machen. Was ist mit dem GPS? Lässt sich damit was anfangen?«
    »Daran arbeiten wir natürlich. Das ist Brass’ Sache.«
    »Was gibt es sonst noch?«
    »Da wären noch Sie, Rachel.«
    Rachel sagte nichts. Wieder hatte Cherie Dei Recht. Backus führte etwas im Schilde. Daran ließ seine dunkle, aber direkte Botschaft

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