Die Rückkehr des Tanzlehrers
etwas über den anderen Buchstaben lagen.
Er konnte sehen, daß es sich um eine Art Bericht handelte. Ganz oben auf der ersten Seite stand in einer säuberlichen Handschrift: »Kameraden, von uns Gegangene und Tote, die ihren übernommenen Pflichten nachkommen.« Mehr nicht. Darunter folgten in alphabetischer Reihenfolge lange Reihen mit Namen. Vor jedem Namen eine Nummer. Stefan schlug vorsichtig die nächste Seite um. Immer noch nichts außer einer langen Liste von Namen. Er überflog sie. Es waren schwedische Namen. Er blätterte weiter.
Unter dem Buchstaben D, nach Karl-Evert Danielsson, hatte dieselbe Hand, die auf der ersten Seite die Notiz gemacht hatte, geschrieben: »Verstorben. Dreißig Jahresbeiträge gespendet.« Jahresbeiträge wofür, dachte Stefan. Diese Organisation hat keinen Namen. Hier sind nur die Namen ihrer Mitglieder. Er konnte sehen, daß viele gestorben waren. An manchen Stellen war handschriftlich notiert, daß eine Spende für den Jahresbeitrag erfolgt war. An anderen, daß »aus der Hinterlassenschaft bezahlt wird«, oder »wird von nicht genanntem Sohn oder Tochter bezahlt«. Er blätterte zurück zum Buchstaben B. Da war sie. Elsa Berggren. Er sprang weiter bis zum Buchstaben M. Herbert Molin. Jetzt begann er noch einmal von vorne. Der Buchstabe A. Es war kein Abraham Andersson dabei. Er blätterte weiter bis zum Ende. Der letzte Name war Öxe, Hans, mit der Nummer 1430.
Stefan schlug die Mappe vorsichtig zu und legte sie zurück in die Schublade. Waren dies die Papiere, von denen Wetter-stedt gesprochen hatte? Eine nationalsozialistische Kameradschaft oder eine politische Organisation? Er versuchte zu verstehen, was er da eigentlich gefunden hatte. Jemand sollte das hier sehen, dachte er. Es müßte öffentlich gemacht werden.
Aber ich kann die Mappe nicht mitnehmen, weil ich hier eingebrochen bin. Er machte die Schreibtischlampe aus und blieb im Dunkeln sitzen. Die Luft war schwer von dem Unbehagen, das er empfand. Es waren nicht alte Teppiche oder Stoffe, die rochen, es waren die Namenlisten. All diese Lebenden und Toten, die ihren Jahresbeitrag zahlten. Sei es, daß sie selbst bezahlten, sei es, daß aus ihrer Hinterlassenschaft gezahlt wurde. Daß Söhne oder Töchter an etwas bezahlten, was nicht einmal einen Namen hatte. Eintausendvierhundertdreißig Personen, und die, die noch lebten, bekannten sich weiterhin zu Ansichten, die längst unschädlich gemacht und verschwunden sein sollten. Doch so war es nicht. Als Erinnerung daran, daß alles noch lebendig war, hatte ein junger Mann neben Wetterstedt gestanden.
Stefan blieb im Dunkeln sitzen und dachte, daß er sofort verschwinden sollte. Doch etwas hielt ihn zurück. Schließlich nahm er die abgegriffene Mappe noch einmal aus der Schublade, öffnete sie und suchte nach dem Buchstaben L. Ganz unten auf einer Seite stand der Name »Lennartsson, David. Jahresbeitrag wird von der Ehefrau gezahlt.« Er blätterte um.
Es war, als habe ihn ein Schlag getroffen, dachte er hinterher, als er im Wagen saß und Richtung Boras fuhr, viel zu schnell durch die Dunkelheit. Er war gänzlich unvorbereitet gewesen. Es war, als habe sich jemand von hinten an ihn herangeschlichen. Es war kein Zweifel möglich. Es war der Name seines Vaters, der dort stand. »Evert Lindman. Verstorben. Hat fünfundzwanzig Jahresbeiträge gespendet.« Es stand auch ein Datum dabei. Der Todestag seines Vaters vor sieben Jahren. Und da war noch etwas, was alle Zweifel ausgelöscht hatte. Er konnte sich ganz klar daran erinnern, wie er mit einem der Freunde seines Vaters, der Anwalt war, zusammengesessen hatte und die Hinterlassenschaft durchgegangen war. Im Testament, das der Vater ein paar Jahre vor seinem Tod aufgesetzt hatte, ging es auch um eine Spende. Es war keine große Summe, aber dennoch auffallend. Fünfzehntausend Kronen hatte er einer Vereinigung vermacht, die sich Stiftung für das Wohl Schwedens nannte. Es war eine Postgironummer angegeben, aber kein Name und keine Adresse. Stefan hatte sich über diese Spende gewundert und gefragt, was das für eine Stiftung sei. Der Anwalt hatte ihm geantwortet, sein Vater wäre in diesem Punkt sehr entschieden gewesen, daran könne kein Zweifel bestehen. Und Stefan hatte in der Trauer über den Verlust seines Vaters nicht weiter darüber nachgedacht.
Heute, in Emil Wetterstedts ungelüfteter Wohnung, hatte ihn diese Spende eingeholt. Er konnte die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen. Sein Vater war Nazi
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