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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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der Wohnung roch es dumpf. Der Geruch erinnerte ihn vage an das Haus seiner Großmutter in der Nähe von Vär-namo, in dem er als Kind ein paarmal gewesen war. Der Geruch von alten Möbeln. Er leuchtete mit der Taschenlampe und vermied es, den Lichtstrahl auf die Fenster zu richten. Er hatte keinen Plan, wußte nicht, wonach er suchte. Wäre er ein gewöhnlicher Einbrecher, hätte er kein Problem gehabt. Dann hätte er nach Wertgegenständen gesucht und mögliche Verstecke aufgespürt. Er untersuchte einen Zeitungsstapel, der auf einem Tisch lag. Nichts deutete darauf hin, daß Wetter-stedt eine Zeitung abonniert hatte, die von einem frühmorgendlichen Zeitungsboten gebracht wurde.
    Er ging leise durch die Wohnung. Sie war nicht groß. Drei Zimmer. Im Gegensatz zu dem spartanisch eingerichteten Sommerhaus war Wetterstedts Stadtwohnung mit Möbeln überladen. Stefan warf einen Blick ins Schlafzimmer und ging dann weiter zum Wohnzimmer, das offensichtlich auch als Atelier diente. Dort stand eine leere Staffelei. An einer der Wände befand sich eine Kredenz. Er zog eine Schublade heraus. Alte Brillen, Kartenspiele, Zeitungsausschnitte. »Porträtmaler Emil Wetterstedt fünfzig Jahre alt.« Das Bild war vergilbt. Aber er erkannte Wetterstedts klare Augen, die offen auf den Fotografen gerichtet waren. Der Text war respektvoll. »Der national wie international bekannte Porträtmaler, der seine Heimatstadt Kalmar nie verlassen hat, obwohl er zahlreiche Möglichkeiten hatte, sich andernorts zu etablieren ... Gerüchte berichteten von Angeboten, daß unser Künstler sich unter reichen und vornehmen Kunden an der Riviera niederlassen sollte.« Er legte den Zeitungsausschnitt zurück und dachte, daß er außergewöhnlich schlecht geschrieben war. Was hatte Wetter-stedt gesagt? Daß er keine Lust hatte, Briefe zu schreiben? Nur kurzgefaßte Mitteilungen, die auf einer Ansichtskarte Platz hatten? Vielleicht hatte er selbst den Artikel formuliert und es so schlecht gemacht, weil er es nicht gewohnt war, zu schreiben. Stefan ging die anderen Schubladen durch. Immer noch wußte er nicht, wonach er suchte. Er verließ das Wohnzimmer und ging in das letzte Zimmer, ein Arbeitszimmer. Er trat an den Schreibtisch. Die Gardinen waren vorgezogen. Er nahm seine Jacke und hängte sie über die Schreibtischlampe, bevor er sie anmachte.
    Auf dem Tisch lagen zwei Papierstapel. Er blätterte den ersten durch. Er bestand aus Rechnungen und Broschüren aus der Toskana und der Provence. Stefan fragte sich, ob Wetter-stedt trotz seiner Behauptung des Gegenteils gern reiste. Er legte den Stapel zurück und zog den zweiten zu sich heran. Er bestand zum größten Teil aus Kreuzworträtseln, die aus Zeitungen herausgerissen worden waren. Alle waren ausgefüllt, nirgendwo sah er Streichungen oder Änderungen. Er dachte noch einmal an das, was Wetterstedt gesagt hatte. Daß er kein schreibender Mensch war. Aber Wörter hatte er parat.
    Ganz unten in dem Stapel lag ein geöffneter Umschlag. Er enthielt eine Einladung mit einem Schrifttyp, der an Runen denken ließ. Es war eine Erinnerung. »Am dreißigsten November treffen wir uns wie üblich um dreizehn Uhr im großen Saal. Nach dem Essen, dem Austausch von Erinnerungen und musikalischen Beiträgen hören wir einen Vortrag unseres Kameraden Captain Akan Forbes, der über seine Jahre im Kampf für ein weißes Südrhodesien berichten wird. Anschließend Jahreshauptversammlung.« Die Einladung war mit »oberster Zeremonienmeister« unterzeichnet. Stefan betrachtete den Umschlag. Der Brief war in Hässleholm abgestempelt. Er zog die Schreibtischlampe näher heran und las den Text noch einmal. Worum ging es eigentlich bei dieser Einladung? Wo lag dieser große Saal? Stefan steckte die Karte wieder in den Umschlag und legte den Stapel zurück.
    Dann begann er, die Schubladen durchzugehen, die unverschlossen waren. Die ganze Zeit horchte er auf Geräusche. In der untersten Schublade, auf der linken Seite des Schreibtischs, lag eine braune Mappe. Sie füllte die ganze Schublade aus. Als Stefan sie herausgenommen und auf den Tisch gelegt hatte, sah er das eingestanzte Hakenkreuz im Leder. Er öffnete den Deckel vorsichtig. Der Rücken war beschädigt und brüchig geworden. In der Mappe steckte ein dickes Bündel maschinengeschriebener Papiere. Stefan sah, daß es Kopien waren, keine Originale. Das Papier war dünn. Der Text war auf einer Maschine geschrieben worden, deren A und E aus der Reihe getanzt waren und

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