Die Rückkehr des Tanzlehrers
gewesen. Einer von denen, die es verborgen hatten. Nicht offen über ihre politische Auffassung gesprochen hatten. Es war vollkommen unbegreiflich, aber trotzdem wahr. Stefan verstand jetzt, warum Wetterstedt nach seinem Namen gefragt hatte und woher er komme. Er hatte etwas gewußt, was Stefan nicht gewußt hatte. Daß sein eigener Vater zu den Menschen gehört hatte, die Wetterstedt am meisten schätzte. Stefans Vater war wie Herbert Molin gewesen. Wie Elsa Berggren.
Er schloß die Schreibtischschublade, schob die Lampe zurück und merkte, daß seine Hände zitterten. Dann sah er sich sorgfältig um und verließ das Zimmer. Es war Viertel vor zwei geworden. Er hatte es nun eilig, von hier fortzukommen. Fort von dem, was sich in Wetterstedts Schreibtisch verbarg. Er hielt inne und horchte im Flur. Dann öffnete er vorsichtig die Tür und zog sie, so fest er konnte, hinter sich zu.
Im selben Augenblick ging die Haustür. Jemand war entweder hereingekommen oder hinausgegangen. Er stand vollkommen reglos in der Dunkelheit. Hielt den Atem an. Lauschte. Aber es waren keine Schritte auf der Treppe zu hören. Jemand kann dort unten im Dunkeln stehen, dachte er. Dann lauschte er weiter. Gleichzeitig vergewisserte er sich, ob er alles bei sich hatte. Die Taschenlampe, den Schraubenzieher, das Brecheisen. Nichts fehlte. Er ging ein Stockwerk tiefer. Vorsichtig. Auf Zehenspitzen. Auf einmal war ihm, als ob der Wahnsinn des gesamten Unternehmens ihm hohnlachend ins Gesicht feixte. Er hatte nicht nur einen sinnlosen Einbruch begangen, er hatte auch ein Geheimnis aufgedeckt, von dem er am liebsten keinerlei Kenntnis hätte.
Er hielt inne und horchte und machte dann das Licht im Treppenhaus an. Alles blieb still. Er ging hinunter zur Haustür. Als er hinaustrat, blickte er sich um, aber die Straße war leer. Er ging an der Hauswand entlang bis zu ihrem Ende und überquerte dann schräg die Straße. Als er zu seinem Auto kam, sah er sich noch einmal um, ohne jemanden entdecken zu können, der ihm gefolgt war. Dennoch war er sich sicher. Er hatte sich nichts eingebildet. Jemand hatte das Haus in dem Moment verlassen, als er vorsichtig die aufgebrochene Tür hinter sich zugezogen hatte.
Er ließ den Motor an und fuhr rückwärts aus der Parklücke.
Er sah den Mann im Schatten nicht, der sich seine Autonummer notierte.
Er verließ Kalmar in nördlicher Richtung und fuhr nach Vä-stervik. Dort gab es ein Cafe, das die Nacht über geöffnet hatte. Ein einsamer Lastzug stand auf dem Parkplatz. In der Raststätte saß der Fahrer, den Kopf an die Wand gelehnt, und schlief mit offenem Mund. Hier weckt dich keiner, dachte Stefan. Ein Nachtcafe ist keine Bibliothek.
Die Frau hinter der Theke lächelte ihm entgegen. Sie trug ein Namensschild, auf dem Erika stand. Er nahm eine Tasse Kaffee.
»Sind Sie LKW-Fahrer?« fragte sie.
»Eigentlich nicht.«
»Berufsfahrer brauchen nachts für den Kaffee nicht zu zahlen.«
»Dann sollte ich vielleicht den Job wechseln«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf, als er bezahlen wollte. Er sah sie an und dachte, daß sie ein schönes Gesicht hatte. Trotz des scharfen Lichts von der Neonröhre an der Decke.
Als er sich hinsetzte, merkte er, wie müde er war. Immer noch war die Entdeckung, die er in Wetterstedts Schreibtischschublade gemacht hatte, nicht einfach zu schlucken. Das mußte später kommen, nicht jetzt.
Er trank den Kaffee aus, nahm keine zweite Tasse und fuhr weiter in Richtung Norden. Dann bog er nach Westen ab, fuhr über Jönköping und war um neun Uhr in Boras. Zweimal hatte er angehalten und eine Weile geschlafen. Tief und traumlos.
Beide Male war er davon wach geworden, daß ihm Lastzüge mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern ins Gesicht geleuchtet hatten.
Er zog sich aus und legte sich der Länge nach aufs Bett. Ich bin davongekommen, dachte er. Niemand kann beweisen, daß ich es war, der in Wetterstedts Wohnung eingebrochen ist. Niemand hat mich gesehen.
Bevor er einschlief, versuchte er auszurechnen, wie viele Tage er fortgewesen war, aber die Rechnung ging nicht auf. Nichts ging auf. Er schloß die Augen und dachte an die Frau, die nichts für den Kaffee hatte nehmen wollen. Daß sie Erika hieß, hatte er schon vergessen.
Irgendwo an der Strecke hatte er das Werkzeug fortgeworfen. Aber als er nach einigen Stunden unruhigen Schlafs erwachte, begann er zu zweifeln. Als erstes durchsuchte er seine Kleidung. Das Werkzeug war fort. Irgendwo in der Nähe von Jönköping hatte er
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