Die Rückkehr des Tanzlehrers
gegenüber den Deutschen. Darüber, daß die schwedischen Eisenerzexporte es der deutschen Rüstungsindustrie ermöglicht hatten, Hitlers ständigen Forderungen nach immer mehr Panzern und anderem Kriegsgerät nachzukommen. Er fragte sich, warum er von diesen Tatsachen nichts gehört hatte, als er in die Schule gegangen war. Woran er sich vage aus dem Geschichtsunterricht erinnern konnte, war ein ganz anderes Bild: Ein Schweden, dem es durch Klugheit und vorsichtiges Taktieren gelungen war, sich aus dem Krieg herauszuhalten. Die Regierung des Landes hatte eine strikte Neutralität verfolgt, die das Land davor gerettet hatte, von der deutschen Wehrmacht zermalmt zu werden. Von größeren Mengen einheimischer Nazis hatte er in seiner Schulzeit nie etwas gehört. Jetzt stieß er auf ganz andere Informationen, die die Handlungen Herbert Molins erklärten. Seine Freude, als er über die Grenze nach Norwegen gekommen war und darauf gewartet hatte, nach Deutschland transportiert zu werden. Stefan konnte sie alle vor sich sehen. Herbert Molin, seinen Vater, seine Mutter und Emil Wetterstedt. In der grauen Masse, die sich irgendwo zwischen den Zeilen im Text verbarg. Oder in den verwischten Hintergründen auf den Bildern von den Straßenaufzügen der schwedischen Nazis.
Als er so weit gekommen war, mußte er eingeschlafen sein und angefangen haben, von den wütenden Hunden zu träumen.
Der Mann mit der Punch stand auf und verließ den Raum. Zwei Mädchen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten und kicherten. Stefan vermutete, daß sie aus einem Land des Nahen Ostens kamen. Er dachte an das, was er gelesen hatte. Wie die Studenten in Uppsala dagegen protestiert hatten, daß jüdische Ärzte vor den Verfolgungen in Deutschland Asyl in Schweden erhielten. Die Einreise war ihnen verweigert worden.
Er stand auf und ging die Treppe zur Ausleihe hinunter. Die Frau, die ihn geweckt hatte, war nicht zu sehen. Er suchte nach einer Toilette. Dort wusch er sich das Gesicht und kehrte dann in den Lesesaal zurück. Die beiden tuschelnden Mädchen waren verschwunden. Auf dem Tisch, an dem sie gesessen hatten, lag eine Zeitung. Er ging hin, um nachzusehen, was sie gelesen hatten. Es war eine Zeitung mit arabischen Schriftzeichen. Sie hatten einen schwachen Duft von Parfüm hinterlassen. Er dachte an Elena. Daß er sie anrufen sollte. Dann setzte er sich wieder, um das letzte Kapitel zu lesen. »Der Nationalsozialismus in Schweden nach dem Krieg«. Er las von Sekten und verschiedenen mehr oder weniger plumpen Versuchen, eine schwedische Nazipartei zu organisieren, die politische Bedeutung erlangen konnte. Hinter all diesen Splittergruppen und lokalen Organisationen, die kamen und gingen, den Namen wechselten und einander symbolisch die Augen auskratzten, ahnte er immer noch die graue Masse, die sich irgendwo an einer verschwommenen Peripherie befand. Sie hatte nichts mit den Möchtegern-Nazis gemein, die ihre Köpfe kahl schoren. Es waren nicht sie, die Banküberfälle ausführten, Polizisten ermordeten oder unschuldige Immigranten überfielen. Er begriff, daß es eine eindeutige Grenze zwischen ihnen und jenen anderen gab, die auf den Straßen lärmten und Karl den Zwölften verehrten. Er schob das Buch von sich und fragte sich, wo in diesem Bild der Junge einzuordnen war, der Emil Wetterstedt versorgte. Gab es trotz allem eine Organisation, von der niemand etwas wußte? In der Menschen wie Herbert Molin, Elsa Berggren und Emil Wetterstedt ihre Ansichten propagieren konnten? Einen geheimen Raum, in den eine neue Generation, der der Junge neben Wetterstedts Sessel angehörte, eingelassen wurde? Er dachte an das, was Wetterstedt gesagt hatte. Daß »Papiere in falschen Händen landen« konnten. Der Junge hatte reagiert, und Wetterstedt war sofort verstummt.
Er stellte die Bücher wieder an ihren Platz. Als er die Bibliothek verließ, war es dunkel. Er ging zu seinem Wagen, setzte sich hinein und rief Elena an. Jetzt konnte er nicht länger warten. Sie schien froh darüber, seine Stimme zu hören, aber auch abwartend.
»Wo bist du?« fragte sie.
»Unterwegs.«
»Und warum dauert es so lange?«
»Ich hatte Probleme mit dem Auto.«
»Was war denn?«
»Irgendwas mit dem Getriebe. Aber morgen komme ich.«
»Warum klingst du so gereizt?«
»Ich bin müde.«
»Wie geht es dir eigentlich?«
»Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Ich wollte nur sagen, daß ich unterwegs bin.«
»Du mußt dir doch denken können, daß ich mir
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