Die Rückkehr des Tanzlehrers
Elena anrufen und sagen, er wolle ein paar Tage verreisen. Vielleicht nach Helsinki, um seine Schwester zu besuchen. Das hatte er früher schon getan. Elena würde keinen Verdacht schöpfen. Dann würde er zum Systembolag gehen und ein paar Flaschen Wein kaufen. Am Abend und in der Nacht würde er alle anderen Entscheidungen treffen. Vor allem, ob er selbst daran glaubte, daß es ihm gelingen würde, einen Krebs zu bekämpfen, der sich als lebensbedrohlich erweisen könnte. Oder ob er von vornherein aufgeben sollte.
Er legte die Motorradzeitschrift wieder an ihren Platz, ging durch den Lesesaal und blieb an einem Regal mit medizinischen Nachschlagewerken stehen. Er zog ein Buch über Krebs heraus, aber er stellte es gleich wieder zurück.
Polizeidirektor Olausson war ein Mann, der lachend durchs Leben ging. Seine Tür stand stets offen. Es war zwölf Uhr, als Stefan in sein Zimmer trat. Olausson war dabei, ein Telefongespräch zu beenden, und Stefan wartete.
Olausson knallte den Hörer auf, zog ein Taschentuch hervor und schneuzte sich. »Ich sollte einen Vortrag halten«, sagte er und lachte. »Bei den Rotariern. Sie wollten, daß ich über die russische Mafia rede. Aber wir haben keine russische Mafia in Boras. Wir haben überhaupt keine Mafia. Also habe ich abgelehnt.«
Er nickte Stefan zu, sich zu setzen.
»Ich wollte nur sagen, daß ich krankgeschrieben bin.«
Olausson sah ihn erstaunt an. »Du bist doch nie krank.«
»Aber jetzt bin ich es. Ich habe Halsschmerzen. Ich bleibe einen Monat weg. Mindestens.«
Olausson lehnte sich im Stuhl zurück und faltete die Hände über dem Bauch. »Einen Monat krankgeschrieben? Wegen Halsschmerzen? Das kommt mir ein bißchen lang vor.«
»Der Arzt hat mich krankgeschrieben, nicht ich.«
Olausson nickte. »Im Herbst erkälten sich Polizisten«, philosophierte er nachdenklich. »Aber ich habe das Gefühl, daß Ganoven nie Grippe bekommen. Was glaubst du, woran das liegt?«
»Vielleicht haben sie ein besseres Immunsystem?«
»Gut möglich. Vielleicht sollten wir den Reichspolizeichef darüber informieren.«
Olausson konnte den Reichspolizeichef nicht leiden. Er konnte auch den Justizminister nicht leiden. Er konnte überhaupt keine Vorgesetzten leiden. Bei der Boraser Polizei war es ein Quell ständiger Erheiterung, daran zu erinnern, daß einmal, vor vielen Jahren, ein sozialdemokratischer Justizminister zu Besuch in der Stadt war, um das neue Gerichtsgebäude einzuweihen. Beim anschließenden Abendessen hatte er sich so betrunken, daß Olausson ihn in sein Hotelzimmer tragen mußte.
Stefan stand auf, blieb aber in der Tür stehen. »Ich habe heute morgen gelesen, daß Herbert Molin vor ein paar Tagen ermordet worden ist.«
Olausson sah ihn fragend an. »Molin? Ermordet?«
»In Härjedalen. Er hat offenbar dort gewohnt. Ich habe es in einer der Abendzeitungen gelesen.«
»In welcher?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
Olausson erhob sich und begleitete ihn hinaus in den Flur. In der Anmeldung lagen die Abendzeitungen. Olausson blätterte sie durch und las, was dort stand.
»Ich würde gern wissen, was da passiert ist«, sagte Stefan.
»Ich finde das heraus. Ich rufe die Kollegen in Östersund an.«
Stefan verließ das Polizeipräsidium. Der Nieselregen schien kein Ende zu nehmen. Im Systembolag stand er für zwei Flaschen teuren italienischen Weins Schlange und ging dann nach Hause. Noch bevor er die Jacke auszog, öffnete er eine der Flaschen und goß sich ein Glas ein, das er in einem Zug leerte. Er trat sich die Schuhe von den Füßen und warf die Jacke über einen der Küchenstühle. Der Anrufbeantworter im Flur blinkte. Es war Elena, die fragte, ob er mit ihr zu Abend essen wolle. Er nahm das Glas und die Weinflasche mit ins Schlafzimmer. Der Verkehr von der Straße vor seinem Fenster erreichte ihn als ein schwaches Rauschen. Er streckte sich auf dem Bett aus. Die Weinflasche in der Hand. An der Decke war ein Schmutzfleck. Er hatte in der vergangenen Nacht wach gelegen und ihn angestarrt. Bei Tageslicht sah er anders aus. Nach einem weiteren Glas Wein drehte er sich auf die Seite und schlief fast sofort ein.
Als er erwachte, war es fast Mitternacht. Er hatte beinah elf Stunden geschlafen. Sein Hemd war schweißnaß. Er starrte ins Dunkel. Die Gardine ließ kein Licht von der Straße herein. Sein erster Gedanke war, daß er sterben sollte.
Dann beschloß er, dagegen anzukämpfen. Wenn alle Proben entnommen waren, hatte er drei Wochen, in denen er tun
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