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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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direkt gegenüber vom Gerichtsgebäude am Brämhultsväg lag. Einige Jahre nach seiner Pensionierung hörte Stefan zufällig, daß Molin die Stadt verlassen habe. Aber niemand wußte, wohin er gegangen war.
    Stefan schob die Zeitung zur Seite.
    Herbert Molin war also nach Härjedalen gezogen. Der Zeitung zufolge hatte er sich tief im Wald auf einem einsam gelegenen Hof niedergelassen. Dort war er brutal ermordet worden. Ein erkennbares Motiv gab es nicht. Auch keine Spuren des Täters. Der Mord war vor einigen Tagen verübt worden. Aber die Nervosität vor dem Arztbesuch hatte dazu geführt, daß Stefan sich von der Außenwelt abgeschottet hatte, so daß ihn die Nachricht nicht erreichte. Bis jetzt. In dieser abgegriffenen Abendzeitung.
    Er erhob sich hastig. Gerade im Moment reichte ihm seine eigene Sterblichkeit. Er verließ das Krankenhaus. Immer noch fiel dichter Nieselregen. Er zog die Jacke dichter um sich und ring zum Zentrum hinunter.
    Herbert Molin war tot.
    Und er selbst hatte die Mitteilung erhalten, daß er jetzt zu der Kategorie von Menschen gehörte, deren Zeit vielleicht bald abgelaufen war. Er war siebenunddreißig Jahre alt und hatte nie besonders viel darüber nachgedacht. Aber jetzt kam es ihm plötzlich so vor, als sei er jeglicher Perspektive beraubt. Als habe er sich in einem Boot auf dem offenen Meer befunden und sei dann in eine enge Bucht geschleudert worden, wo er von hohen Felswänden umgeben war. Er blieb auf dem Bürgersteig stehen und holte tief Luft. Er hatte nicht nur Angst. Da war auch das Gefühl, betrogen zu werden. Von etwas, was sich unsichtbar und unbemerkt in seinen Körper geschlichen hatte und nun dabei war, ihn zu vernichten.
    Ihm kam der Gedanke, wie lächerlich es war, den Leuten erklären müssen, ausgerechnet an der Zunge Krebs zu haben.
    Menschen bekamen Krebs. Davon hörte man häufig. Aber an der Zunge?
    Er ging weiter. Um Zeit zu gewinnen, beschloß er, den Kopf vollkommen leer zu lassen, bis er das Gymnasium erreicht hätte. Dort würde er entscheiden, was er tun wollte. Die Ärztin hatte ihm für den folgenden Tag einen Termin für weitere Probeentnahmen gegeben. Sie hatte ihn auch zunächst für einen Monat krankgeschrieben. In gut drei Wochen sollte die Behandlung beginnen.
    Vor dem Eingang des Theaters standen ein paar Schauspieler in Kostümen und Perücken und wurden fotografiert. Sie waren jung und lachten laut. Stefan Lindman war noch nie in Boras im Theater gewesen. Er war überhaupt noch nie im Theater gewesen. Als er die Schauspieler lachen hörte, beschleunigte er seine Schritte.
    Er ging in die Stadtbibliothek und setzte sich in den Lesesaal. Ein alter Mann blätterte in einer russischen Zeitung. Stefan hatte aufs Geratewohl eine Zeitschrift über Speedwayren-nen herausgegriffen. Er benutzte sie, um sich dahinter zu verstecken. Er starrte das Bild eines Motorrads an, während er versuchte, einen Entschluß zu fassen.
    Die Ärztin hatte gesagt, daß er nicht daran sterben würde. Jedenfalls nicht sofort.
    Gleichzeitig war er sich der Gefahr bewußt, daß der Tumor wuchs und Metastasen bilden konnte. Es würde ein Zweikampf werden. Entweder würde er gewinnen oder verlieren. Die Möglichkeit eines Unentschiedens gab es nicht.
    Er starrte auf das Motorrad und dachte, daß er zum erstenmal seit vielen Jahren seine Mutter vermißte. Mit ihr hätte er reden können. Jetzt hatte er niemanden. Der Gedanke, sich Elena anzuvertrauen, war ihm plötzlich fremd. Warum? Er verstand es nicht. Wenn es jemanden gab, mit dem er sprechen sollte und der ihm die Hilfe geben konnte, die er brauchte, dann war sie es. Dennoch konnte er sich nicht überwinden, sie anzurufen. Es war, als schäme er sich dafür, Krebs zu haben. Sie wußte ja nicht einmal, daß er ins Krankenhaus gehen würde.
    Langsam blätterte er die Seiten mit den Motorrädern durch. Er blätterte sich zu einem Entschluß.
    Nach einer halben Stunde wußte er, was er tun würde. Er würde mit seinem Chef sprechen, Polizeidirektor Olausson, der gerade von einer einwöchigen Elchjagd zurückgekommen war. Sagen, daß er krankgeschrieben war, aber nicht, weshalb. Nur daß er eine gründliche Untersuchung über sich ergehen lassen müßte, weil er Schmerzen habe. Sicher nichts Ernstes. Die ärztliche Bescheinigung konnte er selbst an die Personalabteilung schicken. Das würde ihm zumindest eine Woche verschaffen, bevor Olausson die eigentliche Ursache für seine Abwesenheit erführe.
    Dann würde er nach Hause gehen,

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