Die Rückkehr des Tanzlehrers
aufzunehmen. Nicht zuletzt die Uhrzeiten waren wichtig.
Dann war Giuseppe allein und dachte, daß er hier mit etwas konfrontiert war, für das er eigentlich nicht die richtige Kompetenz besaß. Doch er wußte auch, daß es in dem ganzen jämt-ländischen Polizeidistrikt keinen anderen gab, der besser geeignet wäre als er, die Ermittlung zu führen. Er hatte sich entschlossen, noch am selben Tag mit dem Polizeipräsidenten darüber zu sprechen, daß sie wohl Leute vom Reichskriminalamt hinzuziehen müßten.
Er näherte sich Svenstavik. Noch immer war der Oktobermorgen dunkel. Sie waren in den Tagen, die seit dem Mord an dem Mann im Wald vergangen waren, einer Lösung nicht näher gekommen.
Es gab noch ein anderes großes Problem.
Es hatte sich gezeigt, daß es sich bei dem Toten um einen pensionierten Polizeibeamten handelte, der nach Härjedalen gezogen war, nachdem er ein langes Arbeitsleben als Kriminalpolizist in Boras verbracht hatte. Am Abend zuvor hatte Giuseppe zu Hause auf seiner Fernsehcouch gesessen und Papiere durchgesehen, die per Fax aus Boras gekommen waren. Er verfügte jetzt über alle grundlegenden Angaben, die für die Beschreibung eines Menschen notwendig waren. Dennoch war es ihm, als starre er in eine Leere hinein. Es gab kein Motiv. Keine Spuren. Keine Zeugen. Es war, als hätte sich etwas unbegreiflich Böses aus dem Wald gelöst, sei mit voller Kraft auf Herbert Molin niedergefahren und anschließend spurlos verschwunden.
Er ließ Svenstavik hinter sich und fuhr weiter nach Sveg. Es dämmerte. Ein blauer Farbton über den bewaldeten Höhenzügen, die ihn umgaben. Er dachte an den vorläufigen Bericht, den der Gerichtsmediziner, der die Leiche obduziert hatte, ihm aus Umea geschickt hatte. Es wurde darin zwar erklärt, wie die Verletzungen entstanden waren, aber Giuseppe fand keinerlei Hinweise für die Beantwortung der Frage, von wem oder aus welchem Grund dieser wahnwitzige Angriff ausgeführt worden war. Der Gerichtsmediziner war ausführlich auf die Gewalt eingegangen, der Molin ausgesetzt gewesen war. Die Verletzungen auf dem Rücken schienen von Peitschenhieben zu stammen. Weil die Haut auf dem Rücken vollständig zerfetzt gewesen war, hatten sie erst begriffen, was passiert war, als sie ein Bruchstück der Peitsche gefunden hatten. Der Gerichtsmediziner hatte bei einer Untersuchung unter dem Mikroskop feststellen können, daß die Peitsche aus Tierhaut bestand. Um welchen Hauttyp es sich handelte, konnte er jedoch nicht sagen. Sie stammte von einem Tier, das es in Schweden nicht gab. Die Verletzungen unter den Fußsohlen waren Molin höchstwahrscheinlich mit derselben Peitsche zugefügt worden. Dagegen war er nicht ins Gesicht geschlagen worden. Die Wunden rührten daher, daß er über den Boden geschleift worden war. Die Risse waren voller Erde. Am Hals hatte der Gerichtsmediziner schließlich kräftige blaue Male festgestellt, die darauf hindeuteten, daß jemand versucht hatte, Molin zu erwürgen. Versucht sollte wörtlich verstanden werden, stellte der Gerichtsmediziner in seinem Bericht fest. Molin war nämlich nicht erstickt. Auch die Reste des Tränengases, die sich in seinen Augen, im Hals und in den Lungen befanden, waren nicht die Todesursache. Man hatte Molin buchstäblich zu Tode gepeitscht.
Giuseppe fuhr an den Straßenrand und hielt an. Er stellte den Motor ab, stieg aus dem Wagen und wartete, bis ein LKW auf dem Weg nach Norden vorübergefahren war. Dann öffnete er den Hosenschlitz und pißte. Unter all den Dingen, die es einem möglich machten, das Leben zu genießen, war die Möglichkeit, an einem Straßenrand zu stehen und zu pissen, etwas vom Besten. Er setzte sich wieder hinters Steuer, startete aber noch nicht. Er versuchte aus der Distanz zu betrachten, was er bisher über Molins Tod wußte. Langsam ließ er alles, was er gesehen hatte und was in den verschiedenen Berichten stand, durch sein Gehirn wandern, um es in unterschiedlichen Schubfächern zu speichern.
Es war da etwas, was ihm wie eine Möglichkeit erschien.
Sie hatten keine Spur eines Motivs gefunden. Gleichzeitig war klar, daß Molin lang anhaltender und brutaler Gewalt ausgesetzt gewesen war.
Blinde Wut, dachte Giuseppe. Das war es. Und damit bestand auch die Möglichkeit, daß die Wut das eigentliche Motiv war. Wut und Rachsucht.
Noch etwas sprach dafür, daß er auf dem richtigen Weg sein konnte. Alles machte den Eindruck genauer Planung. Der Wachhund war gezielt getötet worden, man hatte
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