Die Rückkehr des Tanzlehrers
anderem, daß Elsa Berggren zu der Ansicht gelangt, Abraham Andersson müsse sterben. Daraufhin zieht sie eine geeignete Person aus ihrem braunen Netzwerk hinzu, die das Ganze erledigt. Stellst du es dir ungefähr so vor?«
»Es kommt mir selbst ziemlich unwahrscheinlich vor.«
»So unwahrscheinlich nun auch wieder nicht«, sagte Giuseppe. »Ich werde es im Kopf behalten, wenn ich mich heute abend durch die Aktenordner quäle.«
Stefan ging zurück zum Hotel. In Veronica Molins Zimmer war es dunkel. Das Mädchen in der Rezeption saß über seinen neuen Computer gebeugt. »Wie lange bleiben Sie?« fragte sie.
»Bis Mittwoch. Geht das?«
»Es wird erst gegen Ende der Woche voll.«
»Testfahrer?«
»Eine Gruppe Orientierungsläufer aus Lettland ist auf dem Weg hierher, um ein Trainingslager einzurichten.«
Stefan nahm den Schlüssel. »Gibt es in Sveg eine Bowlingbahn?«
»Nein«, sagte sie verwundert.
»Ich hab nur so gefragt.«
Als er in sein Zimmer kam, legte er sich aufs Bett. Irgend etwas war mit Hanna Tunberg, dachte er. Etwas mit ihrem Tod. Er begann sich zu erinnern. Die Bilder in seinem Kopf waren unscharf und ließen sich nur schwer greifen. Er brauchte einige Zeit, um sie zu deuten und in einen Zusammenhang zu bringen.
Er war fünf oder sechs Jahre alt. Wo sich seine Schwestern oder die Mutter aufhielten, wußte er nicht. Er war mit seinem Vater allein zu Hause. In seiner Erinnerung war es Abend. Er spielte mit einem Auto auf dem Fußboden. Im Wohnzimmer. Hinter dem roten Sofa. Das Auto war aus Holz. Es war gelb und blau mit einem roten Ralleystreifen. Seine Augen konzentrierten sich auf die unsichtbare Straße, die er für den Wagen auf den Teppich gezeichnet hatte. Sein Gehör registrierte das Rascheln von Zeitungspapier. Ein freundliches Geräusch, jedoch nicht völlig ungefährlich. Es konnte vorkommen, daß sein Vater etwas las, was ihn aufregte. Dann wurde die Zeitung in Stücke gerissen. »Diese verdammten Sozialisten«, sagte sein Vater. Und dann ging die Zeitung kaputt. Es war wie mit den Blättern an einem Baum. Sie konnten wie Zeitungspapier rascheln. Dann kam ein Sturm, und der Baum ging kaputt. Oder die Zeitung. Er fuhr mit dem Auto eine
Straße entlang, die sich an einer steilen Bergwand entlangschlängelte. Es konnte schlecht ausgehen. Er wußte, daß sein Vater in dem dunkelgrünen Sessel am offenen Kamin saß. Nach einer Weile würde er die Zeitung sinken lassen und fragen, was Stefan machte. Nicht freundlich, nicht einmal interessiert. Nur eine Frage, um zu kontrollieren, ob alles seine Richtigkeit hatte.
Aber plötzlich hörte das Rascheln auf. Es war ein Stöhnen zu hören und ein Plumps. Der Wagen blieb stehen. Ein Hinterreifen war geplatzt. Er war gezwungen, ganz vorsichtig vom Fahrersitz herauszukriechen, damit das Auto nicht in die Schlucht stürzte.
Vorsichtig stand Stefan auf und guckte über die Sofakante. Sein Vater war gefallen und lag auf dem Fußboden. Die Zeitung hielt er noch in der Hand. Er stöhnte. Vorsichtig trat Stefan näher. Um nicht ganz wehrlos zu sein, nahm er das Auto mit. Er ließ es nicht los. Wenn es nötig würde, könnte er damit fliehen. Sein Vater sah ihn mit angsterfüllten Augen an. Seine Lippen waren blau. Sie bewegten sich, formten Wörter: »Ich will nicht so sterben. Ich will aufrecht sterben wie ein Mann.« Die Erinnerung verblaßte. Er befand sich nicht mehr in dem Bild, er stand außerhalb. Was war danach geschehen? Er erinnerte sich an seine Angst. Das Auto in seiner Hand. Die blauen Lippen seines Vaters. Dann war seine Mutter durch die Tür gekommen. Die Schwestern waren sicher auch dabeigewesen, aber an sie erinnerte er sich nicht. Es waren nur er selbst, sein Vater und seine Mutter gewesen. Und ein Auto mit roten Ralleystreifen. Jetzt konnte er sich an die Marke erinnern. »Brio«. Ein Spielzeugauto von Brio. Sie machten bessere Spielzeugeisenbahnen als Autos. Aber weil er das Auto von seinem Vater bekommen hatte, liebte er es. Es war wichtig, was er von seinem Vater bekam. Am liebsten hätte er einen Zug bekommen, aber das Auto hatte rote Ralleystreifen, und jetzt hing es am Rande einer Schlucht.
Seine Mutter hatte ihn weggerissen. Aufgeschrien. Dann war alles nur noch undeutlich. Ein Krankenwagen. Sein Vater in einem Krankenbett. Die Lippen weniger blau. Ein paar Worte, die jemand mehrfach wiederholt haben mußte, sonst würde er sich nicht an sie erinnern. »Ein leichter Schlaganfall. Sehr leicht.«
Woran er sich jetzt
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