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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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deutlich erinnerte, waren die Worte, die sein Vater zu ihm gesagt hatte. »Ich will nicht so sterben. Ich will aufrecht sterben wie ein Mann.«
    Wie ein Soldat in Hitlers Wehrmacht, dachte Stefan. Marschierend für ein Viertes Reich, das nicht auf die gleiche Weise zerschlagen werden könnte wie das Dritte.
    Er nahm seine Jacke und verließ das Zimmer. Irgendwo zwischen all den Erinnerungen hatte er eine Weile geschlafen. Es war schon neun Uhr. Er ging hinaus. Wollte auf einmal nicht im Hotel essen. Unten an der Brücke, neben einer Tankstelle, gab es einen Wurststand. Mit zwei Bedienungsluken. Er aß Kartoffelmus, zwei nur halb durchgebratene Würstchen und hörte den Kommentaren zweier Teenager über einen Wagen zu, der davor geparkt war. Während er sich fragte, was Giuseppe gerade tat, ging er weiter. Ob er immer noch über seinen Aktenordnern saß? Und Elena? Das Handy hatte er im Hotel gelassen.
    Er ging durch die kaum beleuchtete Ortschaft. Die Kirche und die verstreuten Geschäfte, leere Lokale, die darauf warteten, daß jemand sie aufsuchte. Als er zum Hotel zurückkam, blieb er vor dem Eingang stehen. Er konnte sehen, daß sich das Mädchen an der Rezeption gerade fertig machte, um nach Hause zu gehen. Er ging zurück auf die Straße, zur Vorderseite des Hotels. In Veronica Molins Zimmer brannte Licht. Die Gardinen waren vorgezogen, aber in der Mitte war ein Spalt geblieben. Er glitt ins Dunkel. Das Mädchen aus der Rezeption verschwand die Straße hinunter. Er fragte sich, warum sie damals geweint hatte. Ein Wagen fuhr vorüber. Dann stellte er sich vorsichtig auf die Zehenspitzen, um durch den Spalt hineinsehen zu können.
    Sie war in etwas Dunkelblaues gekleidet, vielleicht einen Seidenpyjama. Sie saß mit dem Rücken zu ihm vor ihrem Laptop. Er konnte nicht sehen, was sie tat. Er wollte gerade gehen, als sie plötzlich aufstand und aus seinem Blickfeld verschwand. Er duckte sich. Dann schaute er vorsichtig wieder über das Fensterblech. Der Bildschirm war erleuchtet. Ein Zeichen war zu sehen, vielleicht ein Muster. Zuerst war er nicht sicher, was es war.
    Dann erkannte er es.
    Auf dem Bildschirm leuchtete ein Hakenkreuz.
    Ihm war, als habe er einen kräftigen elektrischen Schlag erhalten. Beinahe hätte es ihn umgeworfen. Im gleichen Moment bog ein Wagen um die Ecke des Hotels. Stefan entfernte sich und ging auf den Hof des Nachbarhauses, in dem das Büro der Lokalzeitung lag. Nur eine Woche zuvor hatte er eine Kleiderschranktür geöffnet und auf eine SS-Uniform gestarrt. Dann hatte er entdeckt, daß sein eigener Vater unter der Oberfläche der Anständigkeit Nazi gewesen war und noch nach seinem Tod Blutgeld bezahlte, um eine vielleicht ungefährliche, aber in ihrem Vorsatz dennoch mörderische Organisation am Leben zu erhalten. Und jetzt Veronica Molins Monitor mit einem Hakenkreuz. Sein erster Gedanke war, zu ihrem Hotelzimmer zu gehen und sie zur Rede zu stellen. Zur Rede wofür? Vor allem dafür, daß sie gelogen hatte. Sie hatte nicht nur gewußt, daß ihr Vater überzeugter Nazi war, sie war selbst Nazi.
    Er zwang sich zur Ruhe. Wieder Polizist zu werden. Klar zu denken. Analytisch. Was Fakten waren und was nicht. Und da im Dunkeln, hinter den unbeleuchteten Redaktionsräumen der Zeitung Härjedalens, schien es ihm, als ob der gesamte Verlauf der Ereignisse, all das, was damit begonnen hatte, daß er in der Krankenhauscafeteria in Boras gesessen und zufällig in einer Zeitung gelesen hatte, daß Herbert Molin ermordet worden war, sich nun endlich zu einem logischen Ganzen formte. Herbert Molin hatte sich im Alter damit beschäftigt, zu puzzeln. Er hatte mit einer Puppe getanzt und von einem wahnwitzigen Vierten Reich geträumt. Jetzt schien das Puzzle, in dem Herbert Molin selbst ein entscheidendes Teil war, endlich vollendet. Das letzte Stück am Platz. Das Motiv sichtbar. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf, als sei plötzlich eine Reihe von Sielen geöffnet worden und er müsse das Wasser nun in aller Eile auf verschiedene Kanäle verteilen. Er war gezwungen, sich dagegenzustemmen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren und mitgerissen zu werden.
    Er fuhr zusammen. Vor seinen Füßen bewegte sich etwas. Eine Katze. Sie verschwand blitzschnell durch den Lichtkegel der Straßenlaterne.
    Was sehe ich, dachte er. Ein Muster, vollkommen klar. Möglicherweise sogar mehr als ein Muster. Eventuell eine Form von Verschwörung.
    Er ging weiter, weil er besser denken konnte, wenn er in

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