Die Rückkehr des Tanzlehrers
Bewegung war. Er lenkte die Schritte zur Eisenbahnbrücke hinüber. Das Amtsgericht auf der Linken. Alle Fenster dunkel. Auf der Straße begegnete er drei summenden Damen. Sie lachten, sagten »Hej«, als er vorüberging, und summten einen Abba-song. »Some of us are crying«. Er erkannte die Melodie. Dann waren sie verschwunden, und er bog ab und folgte den Eisenbahngleisen zur Brücke hinunter. Die Schienen, die nur von Torfzügen und im Sommer von der Inlandbahn benutzt wurden, lagen wie Risse im Holzbohlenbelag der Brücke. Jenseits des Flusses, auf Elsa Berggrens Seite, bellte ein Hund.
Er blieb mitten auf der Brücke stehen. Es war jetzt sternklar. Kälter. Er hob einen Stein auf und ließ ihn ins Wasser fallen.
Er sollte unmittelbar mit Giuseppe reden. Aber vielleicht doch noch nicht sofort. Er mußte nachdenken. Er hatte einen Vorsprung, und den wollte er ausnutzen. Veronica Molin wußte nicht, daß sie durch den Gardinenspalt beobachtet worden war. Die Frage war, ob er seinen Vorsprung nutzen konnte.
Es fiel ihm schwer, sich seines Zornes zu erwehren. Sie hatte ihn getäuscht. Ihm glatt ins Gesicht gelogen. Sie hatte sogar ihr Bett mit ihm geteilt, wenn auch nur zum Schlafen. Und vielleicht war das Absicht gewesen. Ihn zu demütigen.
Er drehte um und ging zum Hotel zurück. Es war nur eins zu tun. Mit ihr zu reden. In der Rezeption saßen zwei Männer und spielten Karten. Sie nickten ihm zu und konzentrierten sich sogleich wieder auf das Spiel. Stefan blieb vor Veronicas Tür stehen und klopfte. Der Impuls, ihre Tür einzutreten, kehrte zurück, aber er klopfte. Sie öffnete sofort. Über ihre Schulter konnte er sehen, daß der Monitor dunkel war.
»Ich wollte mich gerade hinlegen«, sagte sie.
»Noch nicht. Wir müssen erst reden.«
Sie ließ ihn herein. »Heute abend möchte ich alleine schlafen. Nur daß du es weißt.«
»Deswegen bin ich nicht gekommen. Aber ich frage mich natürlich, warum du wolltest, daß ich hier schlafe, ohne dich berühren zu dürfen.«
»Du wolltest das. Aber ich gebe zu, daß auch ich mich manchmal einsam fühle.«
Sie war auf die Bettkante gesunken und hatte, genau wie am Abend zuvor, die Beine unter sich gezogen. Sie war begehrenswert. Sein verletzter Stolz verstärkte das Gefühl nur noch.
Er setzte sich auf den knarrenden Stuhl.
»Was willst du denn? Ist etwas passiert? Der Mann auf dem Fjäll? Habt ihr ihn gefaßt?«
»Ich weiß es nicht. Deswegen bin ich nicht hergekommen. Es geht um eine Lüge.«
»Wessen Lüge?«
»Deine.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Ich verstehe nicht, was du meinst. Und ich werde leicht ungeduldig, wenn Menschen nicht direkt zur Sache kommen.«
»Dann komme ich direkt zur Sache. Vor einer Weile hast du hier gesessen und an deinem Laptop gearbeitet, und ein Hakenkreuz füllte den Bildschirm.«
Sie brauchte einen Augenblick, bevor sie verstand. Dann warf sie einen Blick zum Fenster und auf die Gardine.
»Richtig«, sagte er. »Ich habe hereingeschaut. Das kann man mir vorwerfen, daß ich heimlich hereingeschaut habe. Aber ich hatte nicht die Erwartung, dich nackt zu sehen. Es war lediglich ein Impuls. Und da entdeckte ich das Hakenkreuz.«
Er sah, daß sie immer noch ganz ruhig war.
»Das ist vollkommen richtig. Vor einer Weile erschien ein Hakenkreuz auf meinem Bildschirm. Es war schwarz auf rotem Grund. Aber die Lüge?«
»Du bist wie dein Vater. Dabei hast du das Gegenteil behauptet. Als du seine Vergangenheit verbergen wolltest, hast du eigentlich dich selbst beschützen wollen.«
»Was meinst du?«
»Daß du auch Nazi bist.«
»Ach, das glaubst du?«
Sie stand vom Bett auf, zündete sich eine Zigarette an und blieb stehen. »Du bist nicht nur dumm«, sagte sie, »du bist auch noch eingebildet. Ich dachte, du wärst ein etwas anderer Polizist, aber das bist du nicht. Du bist nur ein unbedeutender kleiner Scheißer.«
»Es bringt dir nichts, mich zu beleidigen. Du könntest mich sogar anspucken, ohne daß ich die Kontrolle verlieren würde.«
Sie setzte sich wieder aufs Bett. »Eigentlich ist es ganz gut, daß du gelauert hast«, sagte sie »Dann können wir das hier gleich klären.«
»Ich höre?«
Sie drückte die halbgerauchte Zigarette aus. »Was weißt du von Computern? Über das Internet?«
»Nicht besonders viel. Ich weiß natürlich, daß da vieles vor sich geht, was gestoppt werden sollte. Vor allem die ganze Kinderpornographie. Du hast erzählt, daß du mit der ganzen Welt Kontakt hältst, wo du dich auch
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